Montag, 29. Juni 2009

Medien und Wirklichkeit 2

"Oder man schafft einen anderen Raum, einen anderen wirklichen Raum, der so vollkommen, so sorgfältig, so wohlgeordnet ist wie der unsrige ungeordnet, missraten und wirr ist.“ Michel Foucault

Wir haben in der letzen Zeit viele verschiedene Thesen zur Erfahrung, Wahrnehmung und Konstruktion von Medien gehört, einige sehr theoretisch, andere sehr alt, mache zeitgenössisch und modern. Was hat das alles mit mir zu tun und wie weit ist die Welt von „Simulacra“ noch von mir entfernt? Wann komme ich mit Simulation in Berührung, berührt sie mich überhaupt oder wie viel bemerke davon in „meiner Realität“. Begriffe jonglieren.

Schnell noch mal bei Wikipedia nachgeschaut - was war das noch mal: Als Simulacrum oder Simulakrum (Plural: Simulacra oder Simulakren) bezeichnet man ein wirkliches oder vorgestelltes Ding, das etwas oder jemand anderem verwandt ist oder ihm ähnlich ist. Der lateinische Ausdruck simulacrum leitet sich über simulo („Bild, Abbild, Spiegelbild, Traumbild, Götzenbild, Trugbild“) von simul („ähnlich, gleich“) ab. Die Bedeutung kann abwertend gemeint sein im Sinne eines trügerischen Scheins, sie kann aber auch positiv verstanden werden im Rahmen eines Konzepts produktiver Phantasie.

Moment, bewege ich mich nicht auch gerade in einer simulierten Welt? Ich bewege mich quasi virtuell in einem Lexikon, das ich ohne Hardware gar nicht bildlich machen könnt. Ich bin jetzt gerade in Berührung mit einer nicht enden Masse von Daten außer ich ziehe den Stecker: Umcodierung der Welt nach Flusser- was hab ich davon?

„Diese stark verkürzte Darstellung des modernen Umkodierens von Buchstaben in Zahlen und der daraus folgenden Veränderung des prozessuellen, historischen und aufklärerischen Bewustseins ist natürlich völlig unzureichend, um das gegenwärtige Entstehen alternativer Welten aus dem Computer wirklich zu begreifen.“

Alternative Welten, aus dem Computer, damit ist wahrscheinlich nicht mein Online-Profil gemeint- oder doch?

Die Menschen in "Simulacra" haben einen Teil ihrer Selbstbestimmung an Maschinen abgegeben, ihre Emotionen werden durch Androiden (ja, Androiden habe ich bereits gegooglet) bestimmt und diese machen glücklich oder suggerieren ihnen was Glück bedeutet.

Das Internet als Medium kommt in "Simulacra" nicht vor, trotzdem kann ich die Wirkungsweise hier als Beispiel heranziehen. Die bereits im Blog gestellte Frage, ob Medien Wirklichkeit konstruieren kann auch an dem bereits genannten Beispiel sozialer Plattformen sofort beantworten:
Ja, Facebook konstruiert zumindest einen Raum, den es vorher nicht gegeben hat, einen Raum, in der das Austauschen von Wissen über den abgelegenen Strand, die bestes Party-Fotos oder eine ganz seltene Aufnahme eines Rolling Stone Albums eine Realität abbildet, die vorher in dieser Form der Sichtbarmachung nicht möglich war.
Stecker wieder rein.
Der soziale Raum, der mir durchs Internet geschaffen wird und den ich durchaus mit Emotionen besetze, formatiert sich durch die Bewertung und den Input anderer- und der Gleichzeitigen Anwendung von Technologie.
Technik verändert die Sicht des Menschen auf die Welt, die immer mehr zum Technotop wird. Was und wie wir wahrnehmen, hängt mit unserer Gewöhnung an eine technisch bedingte und gestaltete Welt untrennbar zusammen. Beispiele dafür lassen sich im Alltag finden: wir sind bereits jeden Tag mit mehr oder weniger intelligenten Maschinen umgeben.

Es ist für uns normal, dass wir mit Anrufbeantwortern reden oder mit einer Auskunft, die vom Computer kommt oder mit einer Computerstimme spricht; wir können z. B. auf diese Weise auch Geld von der Bank abheben usw. Ein Medium macht mir also die Realität begreifbar, aber konstituiert das Aussprechen meines Kontostandes Wirklichkeit?

Zurück zum Internet. Unsere neue Realität ist Körperlos. Ich bilde ihn unter Umständen ständig ab, aber es ist nicht mein eigener. Die Grenzen verschwimmen immer mehr zwischen Mensch und Maschine (auch das wurde ja im Blog bereits angesprochen), zwischen Realität und Virtualität, natürlichen und künstlichen Systeme.
In "Simulacra" ersetzt z.B. eine Maschine, der Papoola, einen menschlichen Körper, ich würde sogar so weit gehen und sagen sie ersetzen einen Freund, von dem man gewöhnt ist, Unterstützung zu bekommen. Sie erzählen einem genau, was man hören möchte, sind zuvorkommen, freundlich und loyal. Und sie sind eine Simulation. Als Konzept dahinter steht die Durchdringung des Konzepts des Menschlichen, die Durchdringung des Organischen mit technischen Prothesen.

„So gehen viele Informatiker, Kognitionswissenschaftler, Systemtheoretiker und Biologen davon aus, das Organismen und Artefakte gleichermaßen als informationsverarbeitende Systeme beschrieben werden können und dass somit der Körper zu einer vernachlässigenden, potenziell überwindbaren Instanz werde.“

Ich für mich kann also unterscheiden zwischen dem Abbild meiner Selbst, wenn ich mir einen putzigen Namen gebe und mich verjüngere, verschönere und schlauer mache. Die Annäherung an das Ideal-Ich wird mir im Internet gelingen, wenn ich es denn will. Da liegt der Unterschied zu mir und den Bee´s. Zumindest in meiner Wirklichkeit bin ich selbstbestimmt und weiß Technologien zu benutzen, dass es mir und meiner Identität nicht schadet. Wenn ich eine Prothese brauch, habe ich sie in Reichweite- Stecker rein.

Das Bewusstsein dafür habe ich aus einer veränderten Wirklichkeit entwickelt, in der tatsächlich alles kalkulierbar ist und in der ich und meine Emotionen mit einem Nennwert beziffert werden kann.

Ich habe keinen Körper. Ich bin transzendent. Ich bin Richard Kongrosian im World Wide Web.


www.wikipedia.at

Becker, Barbara: Philosophie und Medienwissenschaft im Dialog. In: Münke, S.; Roesler, A.; Sandbothe, M. (Hg.): Was ist Medienphilosophie? Hamburg: 2003, S.91-106

Flusser , Vilem: Digitaler Schein. In: Rötzer, Florian (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der neuen Medien. Frankfurt: 1999, s.147-159

The Simulacra - eine sehr kurze literaturtheoretische Untersuchung

Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit […] besteht darin, ein ‚Objekt‘ derart zu rekonstituieren, daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (welches seine ‚Funktionen‘ sind). Die Struktur ist in Wahrheit also nur ein Simulacrum des Objekts, aber ein gezieltes, ‚interessiertes‘ Simulacrum, da das imitierte Objekt etwas zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unverständlich blieb. (Roland Barthes: Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch. 5. Mai 1966. S. 190-196.)

Dieses Zitat des französischen Kulturkritikers Roland Barthes ist mein Ausgangspunkt des Versuches einer literaturtheoretischen Untersuchung von Philip K. Dicks The Simulacra. Diese Untersuchung wird sich sowohl auf Gedankengänge des Strukturalismus als auch des Poststrukturalismus, genauer auf die Tätigkeit der Dekonstruktion stützen.

Die strukturalistische Literaturtheorie, als dessen Gründer gemeinhin der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure gilt, beschäftigt sich mit der Analyse unbewusst wahrgenommener Strukturen innerhalb der Sprache und deren Wirkung auf die Literatur.
Sprache ist laut Saussure ein Zeichensystem, das sich durch binäre Differenzen definiert. Jedes Zeichen besteht aus einem Signifikat, also dem Bezeichnenden und dem dazugehörigen Signifikanten der das Bezeichnete darstellt, also das Signifikat mit einer Bedeutung ausstattet. Das Signifikat erhält seine Bedeutung nur, indem es sich von anderen Signifikaten unterscheidet. Es heißt beispeilsweise nur „Regen“, weil es eben nicht „fegen“ ist. Ebenso ist es bei den Signifikanten, die ihre bestimmte Eigenschaft nur in Anbetracht der Differenz zu einem anderen Signifikanten erhält. Mittels der Untersuchung dieses binären Zeichensystem lässt sich ein Code entschlüsseln, der dem Strukturalisten einen neuen Interpretationsschlüssel zu einem Text in die Hand gibt.

The Simulacra eröffnet uns anfangs eine Welt voller solcher binären Strukturen:
Die Be´s (Befehlsträger) stehen im Gegensatz zu den Ge´s (Geheimnisträger), die Behandlung mittels Psychoanalyse ist konträr zu der Behandlung mittels den Medikamenten der AG Chemie, normale Menschen sind keine Specials, Mars ist nicht die Erde, Neonazi ungleich Jude, die UDSSR ist Feind der USEA und die Sons of Job (orientiert an der SA) oppositionieren der Regierung.

Im Laufe der Romanhandlung jedoch verlieren diese binären Strukturen an Wert und es treten Personen, Orte oder Dinge auf, die als Hybriden zwischen den Oppositionen wirken. Doch auch diese Mittlerfiguren verschwimmen mit dem Fortschreiten des Romans und gegen Ende herrscht ein Chaos vor in welchem die als gegensätzlich wahrgenommenen Signifikate Eigenschaften bekommen, die vorher undenkbar gewesen wären.

Man könnte auch sagen, die Romanhandlung dekonstruiert sich, was mich zu der Poststrukturalistischen Tätigkeit der Dekonstruktion führt:

Jacques Derrida, einer der Hauptvertreter der Dekonstruktion lehnt seine theoretischen Überlegungen zur Sprache zwar an Saussures Zeichensystem an, öffnet dieses aber. Seiner Meinung nach kann es keine genaue Zuordnung eines Signifikates zu einem Signifikanten geben, eher ist jedes Zeichen aus einem unendlichen Gewebe von anderen Zeichen entstanden und lässt sich nur durch die Differenz zu allen anderen Zeichen definieren. Ein einprägsames Zitat für dieses Vorgehen habe ich in David Lodge´s Small World. An Academic Romance gefunden. In der inoffiziellen „Pflichtlektüre“ der Wiener Komparatistik beginnt Morris Zapp, ein fiktiver Vertreter der Amerikanischen textimmanenten Literaturtheorie seinen Vortrag mit der Feststellung: „To understand a message is to decode it. Language is a code. But every decoding is another encoding.“ (LODGE 1984: S. 25)
Das Enkodieren der Literatur oder der Sprache ist also eine Spirale die ins Unendliche führt und unendlich viele Interpretationen und Codes zur Verfügung stellt. Aus dieser Erkenntnis heraus konzentriert sich die Dekonstruktion darauf, Brüche und Widersprüche zu erkennen und zu hinterfragen. Die binären Oppositionen, die noch bei den Strukturalisten unhinterfragt und als natürlich hingenommen wurden, sind nun mit dem Vorwurf der Abhängigkeit von kulturellen und sozialen Gegebenheiten konfrontiert und werden, wie alle Arten des unreflektierten Schwarz-Weiß-Denkens, abgelehnt. Das Ziel des Strukturalisten ist folglich, die textinternen Strukturen aufzudecken und zu hinterfragen um so wiederum neue Denkmöglichkeiten anzuregen.

Der amerikanische Dekonstruktivist Paul de Man geht sogar so weit zu behaupten der Text bräuchte gar nicht mehr vom Kritiker dekonstruiert zu werden, man müsse nur zeigen wie er dies selbst tut. (vgl. EAGLETON 1997: S. 131) Das mag, wie alles, anfechtbar sein, im Falle von Philip K. Dicks The Simulacra bin ich jedoch zu derselben Überzeugung gekommen.

Die Dekonstruktion, die der Text Dicks mit sich selbst vornimmt möchte ich kurz anhand Bertold Goltz, den Anführer der Sons of Job und den bereits mehrmals zitierten Richard Kongrosian aufzeigen.

Bertold Goltz zeichnet sich im Roman hauptsächlich durch seine materielle Abwesenheit aus. Er tritt kaum in Erscheinung aber der Leser wird sehr früh über ihn informiert, da man über ihn redet. Goltz, so erfährt man ist der Anführerer der Neonationalistischen Bewegung der Sons of Job. Er wird zwar einerseits als größte landesinterne Bedrohung für die Regierung wahrgenommen ist aber andererseits laut Nicole Thibodeaux „as Be as it´s possible to be. Out, un and Be; he´s all three. He´s a joke. A Clown.“(DICK 1977:S. 50). Diese Untertreibung seines Status wird aber durch den Besitz eines Machtmittels widersprochen, zu welchen eigentlich nur hohe Funktionäre der Regierung, also Ge´s zutritt haben: The Von Lessingers Time apparatus. An dem Punkt dieser Erkenntnis angelangt, könnte der Leser die Aussage von Nicole Thibodeaux schon hinterfragen. Dies wird dem Leser aber vorweggenommen als sich Goltz bei seinem ersten Auftritt in persona als Jude bekennt: „I´m a Jew, too, Mr Flieger. Or more properly a Israeli.“ (DICK 1977: S.75) Dieses Paradoxon und die Information, dass die Regierung Hermann Goering aus der Vergangenheit geholt hat, lässt Nat Flieger die Gedanken des Lesers aussprechen: „Then it puts your movement in a new light.“ (DICK 1977: S.76)
Am fulminanten Ende des Romans stellt sich heraus, dass Goltz Vorsitzender des Geheimen Rates ist, der der Regierung als Machtorgan übergeordnet war. Er bezahlt dies schließlich mit seinem Leben, obwohl auch das nicht definitv ist, da er ja aufgrund des von Lessingers Time apparatus unsterblich sein könnte.

Eine ähnliche Entwicklung wie Goltz macht auch der Charakter des psychokineticist Richard Kongrosian durch. Auch über ihn wird bis zum sechsten Kapitel nur in der dritten Person gesprochen. Auch um ihn ranken sich Gerüchte wegen seiner Krankheit, seiner Familie und der Wahl seines Wohnortes, einem „backwater boondock“ (DICK 1977: S.72). Bezeichnend ist, das man bereits vor dem sechsten Kapitel erfährt, dass er aufgrund seiner Gabe noch eine wichtige Rolle in der weiteren Entwicklung der Geschichte spielen wird. Man gewinnt anfangs den Eindruck, dass Kongrosian sehr verrückt und machtlos sei, jedoch sieht er selbst sich als Bedrohung. Er hat keine Kontrolle mehr über seine Kräfte und kennt nur noch den Ausweg auf den Mars zu fliehen und ein neues Leben zu beginnen. Er wird jedoch aufgehalten und gewinnt am Höhepunkt des Romans eine teilweise ungewollt machtvolle Position. In dieser grotesken Szenerie bildet er die perfekte Metapher der Dekonstruktion:

„I´m turning inside out! [...] Pretty soon if this keeps up I´m going to have to envelop the entire universe and everything in it, and the only thing that´ll be ouside me will be my internal organs and then most likely I´ll die!“ (DICK 1977: S.201)

In beiden Fällen ist leicht nachzuvollziehen, wie die Charaktere von einer rätselumwobenen, schwachen Position mithilfe der fortschreitenden Handlung, dem Hinterfragen der gegebenen Tatsachen und dem Aufdecken von Geheimnissen in eine widersprüchliche, mächtige Position aufsteigen. Bei Beiden ist das Ende so unklar, wie es die dekonstruktivistsche Tätigkeit fordert.

Warum ist der Titel des Buches nun The Simulacra? Ist er nur auf der eher im Hintergrund bleibenden Tatsache begründet, dass die „Alten“, also die vermeintlichen Regierungschefs Simulacras sind oder steckt mehr hinter diesem ungreifbaren Wort?
Ich möchte dazu noch einmal auf das einleitende Zitat von Roland Barthes eingehen. Barthes meint die Struktur des Textes, die nach der Rekonstitution zutage tritt sei ein interessiertes Simulacrum, das etwas aufdeckt. Wenn man nun im Laufe meiner Argumentation zu dem Schluss gekommen ist, dass der Text sich selbst dekonstruiert, müsste man auch zu der Annahme kommen, dass er nun ein Simulacrum seiner selbst ist. Ein Simulacrum das interessiert und die widersprüchlichen Strukturen der Handlung aufdeckt. Daraus folgere ich, dass der Titel The Simulacra bezeichnend für den ganzen Roman ist, egal ob der Autor, auf dessen Existenz ich nicht eingehen will, dies beabsichtigte oder auch nur bedachte. Diese Freiheit nehme ich mir als interessierte Leserin heraus. Und um genau diese Freiheit geht es in dem Zitat von Roland Barthes mit dem ich meine Untersuchung schließen werde:

„Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“( Barthes 2007: S. 193)


Quellen:
Culler, Jonathan, Literaturtheorie. Eine kurze Einführung. Stuttgart: Reclam 2006.

Dick, Philip K., The Simulacra. London: Magnum 1977.

Eagleton, Terry, Einführung in die Literaturtheorie. Stuttgart: Metzler (Bd.246) 4. Aufl. 1997.

Barthes, Roland, „Der Tod des Autors.“ In: Texte zur Theorie der Autorschaft. Hrg. Jannidis, Fotis/G. Lauer/ M. Martinez/ S. Winko, Stuttgart: Reclam 2007; S. 185-197.

Jahrhaus, Oliver/Stefan Neuhaus, Kafkas „Urteil“ und die Literaturtheorie. Zehn Modellanalysen. Stuttgart: Reclam 2005.

Lodge, David, Small World. An Academic Romance. London: Penguin 1984.

Barthes, Roland, Die strukturalistische Tätigkeit. In: Kursbuch. 5. Mai 1966. S. 190-196. (http://www.lrz-muenchen.de/~nina.ort/barthes.html)

Sonntag, 28. Juni 2009

IM AUGE DES BETRACHTERS- DIE FIGUR NICOLE THIBODEAUX

„Was sollen wir da noch tun? Warum können wir sie uns nicht einfach im Fernsehen ansehen? Mehr brauche ich nicht. Ich brauche nur das Bild von ihr, verstehst du?“

Der Blick als solcher und die damit verbundenen Fragen des Sichtbar Machens oder Unsichtbar Werdens spielen nicht nur in unserer westlichen Gesellschaft eine konstituierende und damit wesentliche Rolle, sondern auch in den gesellschaftlichen Strukturen von Simulacra: Wieso wird Nicole so verehrt? Wieso wundert sich niemand über ihre immer gleich bleibende Erscheinung? Wieso altert sie nicht?

Schon seit Jahrhunderten, genau genommen seit der griechischen Antike ist die Wahrnehmung der Wirklichkeit untrennbar mit der Idee des Subjekts verbunden, dass sich durch die Augen konstituiert: Ich sehe etwas, also ist es auch da.

Am Beispiel der Figur Nicole Thibodeaux ist dies an verschiedenen Aspekten gut zu beobachten:

Nicole wird hauptsächlich über ihr mediales Bild wahrgenommen, tatsächlicher Kontakt mit ihr ist eher selten, dafür stahlt sie ihr Gesicht ins Wohnzimmer der Bürger, ob diese wollen oder nicht. Das Fernsehbild ist eine Simulation (Abbild eines realen Menschen, Gebäudes, Tieres, Gegenstands usw.) an sich, das sich das bereits beschriebene Prinzip der Wahrnehmung zu nutzen macht. Es kann per se (technisch) noch viel mehr leisten:
Der Zuschauer identifiziert sich mit dem betrachtenden Auge der Kamera, als auch mit dem Objekt diese Blickes: den Darstellern und den Rollen, die sie verkörpern (die Menschen wissen aber im Fall Nicole gar nicht, dass die Darstellung, die sie verfolgen- die Frau des Präsidenten, tatsächlich nur von einer Darstellerin, einer Schauspielerin simuliert wird).

„Was ist unwirklich? Was ist wirklich? Für mich ist sie wirklicher als alles andere, dich eingeschlossen. Sogar wirklicher als ich selbst, als mein ganzes Leben.“

Die Zuseher folgen den Bewegungen und den Ausschnitten der Kamera einerseits passiv, da sie keinerlei Einfluss auf den Bildausschnitt haben, erheben sich aber andererseits als Subjekt des Blickes.

Dass es sich bei Nicole um eine schöne junge Frau handelt, ist natürlich Absicht, wir orientieren uns gerne, an Menschen, denen wir ähnlich sind oder sein möchten, da wir uns so unserem Idealen-Ich auch ein Stück annähern können. Schönheit ist eins der höchsten Güter, die ein Mensch besitzen kann, Eigenschaften, die schönen Menschen zugeschrieben werden sind Erfolg, Glück, Macht, Zufriedenheit und Souveränität. So entsteht durch Nicole, bzw. das Bild von ihr, gleichzeitig mit der individuellen Annäherung an das Ideal-Ich eine Gemeinschaft. Der mediale Körper fungiert als konstitutiver Faktor des Kollektivs, denen genau das Streben nach diesen Eigenschaften zugeschrieben werden kann.
Dies erklärt auch die Unreflektiertheit, mit der das Bild von Nicole angenommen wird.

Am Beispiel von Ian, das bereits in einem vorangegangenen Blog gebracht wurde, möchte ich gerne noch auf einen anderen Aspekt des Blickes bzw. der Blickführung eingehen: Die Lust am Schauen.

Wie bereits erwähnt, ist Nicole eine attraktive junge Frau, der natürlich auch sexuell konnotieret Attribute zugeschrieben werden können.
Scheint es den ganzen Roman über so zu sein, dass sich im Gegensatz zur real existierenden Welt die patriachalischen Strukturen ins Gegenteil verkehrt haben und ein Matriarchat über die Gesellschaft wacht, ist man am Ende mit der Tatsache konfrontiert, dass die vermeintliche Hauptdarstellerin eine austauschbare Schauspielerin ist, deren Entscheidungskompetenzen auf Banalitäten zurückgefahren sind. Hinter Ihr stehen Männer, die im gesellschaftlichen und politischen Leben die Strippen ziehen.

Die Auswahl eines weiblichen Oberhauptes kann mit der physischen Rollenzuschreibung erklärt werden: Die Frau als Bild, der Mann als Träger des Blickes.

Laura Mulvey hat das in ihrem Aufsatz “Visuelle Lust und narratives Kino“ folgendermaßen formuliert: Die Lust am Schauen ist in aktiv/männlich und passiv/weiblich geteilt.
Frauen wird eine exhibitionistische Rolle zugeschrieben, welche „Angesehen- werden- Wollen“ konnotiert. Die Präsenz der Frau ist ein unverzichtbares Element der Zurschau-stellung im normalen narrativen Film, obwohl sie der Entwicklung des Handlungsstrangs zuwiderläuft, den Handlungsstrang in Momenten erotischer Kontemplation gefrieren lässt.

Budd Boetticher beschreibt die Rolle der Frau im Film ähnlich: “Sie ist es, oder vielmehr die Liebe oder Angst, die sie beim Helden auslöst, oder anders, das Interesse, das er für sie empfindet, die ihn so handeln lässt, wie er handelt. Die Frau an sich hat nicht die geringste Bedeutung.“

Die Figur Nicole Thibodeaux funktioniert genau so, da sie sowohl den Blick der Zuseher auf sich lenkt, als auch völlig inhaltsfrei existieren kann. Sie wird zur Wirklichkeit durch die ständige Präsenz ihres Bildes. Dabei ist es letzen Endes für die Zuseher vor den Bildschirmen unrelevant, dass sie eine Schauspielerin ist.

Baudry, Jean Louis: Das Dispositiv: Metapsychologische Betrachtungen des Realitätseindrucks. In: Psyche 48/1994, S. 1047-1074

Braun, Christina: Frauenkörper und medialer Leib. In: Müller-Funk, Wolfgang; Reck, Hans Ulrich (Hg.): Inszenierte Imagination. Beiträge zu einer historischen Anthropologie der Medien, Wien/New York: 1996

Dick, Philip K.: Simulacra. München: Heine, 2005.

Merten, Klaus: Evolution der Kommunikation. In: Merten, Klaus (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Opladen, 1994, S.141-162

Mulvey, Laura: Visuelle Lust und narratives Kino. In: Weissenberg, Liliane (Hg.): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt: 1995. S.55-73

Montag, 22. Juni 2009

Wirklichkeit vs. Abbild- Platons Ideenlehre

Wie bereits in meinem letzten Beitrag erwähnt, befasste bzw. befasst sich auch der philosophische Idealismus mit dem Unterschied zwischen Wirklichkeit und dem, was wir zu sehen, oder glauben zu wissen.
Die Anfänge des Idealismus können bis zu Platon zurückverfolgt werden, der mit seiner Ideenlehre weitesgehend als Wegbereiter dieser ontologischen Theorie gesehen wird.

Ideen seien Formen, Strukturen, Gattungen, Allgemeinheiten des Seins. Nur ihnen komme wahre Identität zu. Die konkreten Körper vergingen, aber die Ideen blieben als ewige Urbilder erhalten. (Möller, Peter 2008)

Ideenlehre-Diagramm1 Die Idee ist also etwas abstraktes, körperloses, das aber gleichzeitig jenseits alles sinnlich wahrnehmbaren ist. Sie ist eine Art geistiges Musterbild, das "Original", auf das sich alles körperliche bezieht. Auf Grund dieser Absolutheit und Unvergänglichkeit in der Zeit stellt die Idee die objektive Wahrheit dar. Die Konsequenz daraus ist, dass im Prinzip nichts erfunden werden, sondern lediglich entdeckt werden kann, da die Idee als Vorraussetzung immer schon gegeben ist. Um nun die Wirklichkeit (die Wahrheit) erfassen zu können, sind nicht empirische- sondern kognitive Erfahrungsprozesse notwendig.

Platon selbst veranschaulicht seine Ideenlehre mit Hilfe dreier Gleichnisse die er in Politeia, einem seiner Hauptwerke, anführt. Dies sind das Sonnengleichnis, das Liniengleichnis und das darauf aufbauende Höhlengleichnis. Während ich auf die ersten beiden Gleichnisse nur kurz eingehen werde, wird mein Hauptaugenmerk auf dem Höhlengleichnis, da sich dieses sehr gut auf die von P. K. Dick in The Simulacra beschriebene Gesellschaft anwenden lässt.


Sonnengleichnis
Die Sonne steht im Sonnengleichnis sowohl für lebensspendende Kraft, als auch für die Idee des reinen Guten. Das Licht der Sonne ist die Erkenntnis, ohne sie "sehen" (nicht das biologisch- organische Sehen) und demnach auch Einsicht nicht möglich wäre. Nur was von der Sonne angestrahlt wird ist wirklich erkennbar.

Liniengleichnis
Das Liniengleichnis beschreibt die Erkenntnisebenen des Menschen, mit der Idee des einen Guten (vgl. die Sonne im Sonnengleichnis) als Basis.
800px-Liniengleichnis Wie sich anhand dieses Diagramms erkennen lässt, nimmt der gehalt an Wahrheit nach rechts hin immer weiter zu. Erkenntnis kann nur durch denken erlangt werden, wobei Platon hier noch weiter differenziert zwischen Verstandeserkenntnis und Vernunfterkenntnis.Während sich Verstandeserkenntnis auf mathematische zusammenhänge etc bezieht, ist Vernunfterkenntnis nur durch Dialektik (Logik) zu erzielen und stellt die höchste Form der Erkenntnis dar.

Höhlengleichnis
Im Höhlengleichnis wird die Welt, wie wir sie wahrnehmen als Höhle beschrieben. In dieser Höhle befindet sich eine Wand, hinter der die Menschen, in ketten liegend, an die Höhlenwand starren. Hinter der Wand verläuft ein Weg auf dem Genstände vorbeigertagetragen werden. Durch eine Lichtquelle werden die Schatten der vorbeigetragenen Gegenstände an die Wand geworfen, während die Träger ungesehen bleiben. Die Gefangenen hören aber ihre Stimmen und ordnen diese den Schatten zu. Sie halten die Schatten für die Wirklichkeit (vgl. Platon, 1998 S.301 ff.). Platon beschreibt nun den Philosophen als jemanden, der die Fesseln abgeworfen hat und zuerst die (wirkliche) Welt hinter der Wand und später sogar die Sonne ausserhalb der Höhle gesehen hat. Seine Aufgabe ist es, die anderen zur Erkenntnis darüber zu verhelfen.
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Platon, Der Staat,dt. Taschenbuchverlag, 1998,München

Möller, Peter, Peter Möllers Philolex, 2008 (21.06, 17:45)
http://www.philolex.de/platon.htm#idl

Dr. Schlemm, Annette, 2006 (20.06, 14:09)
http://www.philosophicum.de/philo5.htm

Freitag, 12. Juni 2009

Das Bild als Simulakrum

"Nicole Thibodeaux verwendet dieses Medium ganz klar, um die Menschen an sich zu binden. Sie schafft durch den Apparat eine eigene Realität von ihr, ein bestimmtes Bild, welches sie in den Augen der Bürger zum "Über-Menschen", zum geistigen Führer einer Nation macht, zur letzten Instanz für die Entscheidung über richtig und falsch.”

Aber wie kommt es, dass die BE´s ihr Bild euphorisch annehmen? Warum kommt niemand auf den Gedanken die Allmacht dieser ewig jungendlichen Abbildes zu hinterfragen? Liegt es nur an dem biblischen Mythos der mit Nicoles Erscheinung verknüpft ist? Wie kommt es außerdem, dass ein Bild, nur aus dem Grund DAS es ein Bild ist soviel Macht auf die Menschen ausübt.

Es ist doch ein Zeichen unserer Zeit, dass Bilder immer mehr an die Stelle der realen Körper rücken und zu Objekten der Begierde und der Selbstdefinition werden. Allein schon die Tatsache, dass sich die menschliche Sicht auf die 2-dimensionalen Bilder des Kinos seit dessen Erfindung so rasant angepasst hat, dass in deren 2-Dimensionalität 3-Dimensionale (reale) Räume wahrgenommen werden, sagt schon einiges über die Manipulierbarkeit des menschlichen Blickes aus.

Laut Jean Baudrillard verschwindet der Körper aus der imaginären Welt der Menschen und wird durch Bilder als Objekte der Begierde ersetzt.

Dies kann man auch in Philip K. Dicks The Simulacra sehen, worin das Bild der Präsidentin zum Fetisch und Götzenbild einer ganzen Nation erhoben wird. Das Bild, womit das Medienbild und seit einiger Zeit auch das digitalisierte Bild gemeint ist, geht also „als Simulakrum dem Realen voraus“ (BAUDRILLARD 1986: S.265). In The Simulacra wird besonders schön deutlich wie die Kausalität zwischen Bild und Wirklichkeit umgedreht wird. Das Bild Nicoles ist immer präsent, doch die Wirklichkeit ändert sich mit dem jeweiligen Alter der repräsentierenden Schauspielerin. Im Gegensatz zu den anderen Frauenfiguren in Dicks Roman The Simulacra kann nur Nicole geliebt werden, da sie sowohl (medialen) Zugang zu den Privaträumen der Be´s hat als auch als Idealbild, als unereichbare „mother, wife, mistress“ ( DICK 1977: S.20) stilisiert wird.

Es ist schon interessant wie sehr in Philip K. Dicks Geschichten und deren Adaptionen der Wert auf das Auge gelegt wird.
Der visuelle Sinn des Menschen als Sinn der Zukunft? Die Augen als Spielgel der Seele/ der Menschlichkeit? Was sagt uns die orthografische Ähnlichkeit der englischen Wörter „eye“ und „I“?
Das Auge als Selbstdefinition: nicht ohne Grund erkennt der Leser die Replikanten, Cyborgs oder Simulacra oft an den seelenlosen Augen.

AugeAuch in Blade Runner (Ridley Scott, USA 1982), der Dick Adaption von Do Androids dream of Electric Sheep wird das, was gesehen und das womit es gesehen wird zu einem auschlaggebenden Motiv. Sowohl die Augen als auch Fotografie dienen als Identifikation und Selbsdefinition, wobei die Fotografie für die Baudrillardsche Simulationstheorie eine weitaus bedeutendere Rolle einnimmt.

Das analoge Bild spielt hier die Rolle eines Beweises und zwar in zweifacher Hinsicht.

Der Beweis als Selbstdefinition: Sowohl Rachael als auch Deckard versuchen sich anhand von analogen Fotos zu versichern, dass sie eine Kindheit und menschliche Vorfahren hatten. Die Erinnerung allein ist nicht zuverlässig genug, da sie technisch „eingepflanzt“ und manipuliert werden kann. Die analogen Familienbilder sollen das bestätigen, was der Kopf nicht glauben kann und konstruieren somit eine Wunschrealität.

Im zweiten Beweisfall spielt die Digitalisierung eines Fotos die Schlüsselrolle. Bild-9
Deckard untersucht mit einem Digitalisierungscomputer eine analoge Fotografie auf Hinweise auf andere Replikanten. In der an niederländische Malerei anmutende Fotografie findet er tatsächlich nach einigem Suchen die Reflexion einer Frau in einem weit entfernten Spiegel. Er zoomt näher heran und kann ein Identifikationsfoto der Replikantin Zhora bekommen.

Das dieses Verfahren kaum zu einem „lesbaren“ Bild führen kann hat uns schon der Film Blow Up von Antonioni gelehrt in dem nur noch Pixelgebirge erkennbar waren und die Realität hinter dem Bild unleserlich blieb. In Blade Runner aber erschließt die Digitalisierung des Fotos neue Perspektiven, eine künstliche Zeichenwelt wird hinter dem flächigen Bild erfahrbar und stellt das Foto als Beweismittel der vorhandenen Realität vollends in Frage.

Ist unsere Zeit, die ja so von der Identifikation mit digital (veränderten) Bildern, also von Simulakren lebt nicht schon im Begriff sich in einer selbstgeschaffene Simulation einzusperren. In eine simulierte Welt, die nur mehr über amonyme Internetplattformen, à la twitter, Facebook, etc. kommuniziert und allein über den Sinn des Sehens und Wahrnehmens existiert? Rückgängig kann man den Siegeszug des Sehens nicht mehr machen, aber man kann mit anderen Augen hinter die Dinge zu blicken um sich den Realitätsbezug, falls es einen gibt, zu bewahren.

Eine Andeutung dieser Thematik findet sich in den Worten, die der Replikant Roy Batty zu dem genetic designer seiner Augen sagt:

„Well, if only you could see what I´ve seen with your eyes.“
(BUKATMAN 1997: S.7)


Quellen:

Baudrillard, Jean, „Jenseits von Wahr und Falsch, oder Die Hinterlist des Bildes.“ in: Bildwelten – Denkbilder. Hg. Bachmayer, Hand M./Otto Van de Loo/Florian Rötzer. München: Boer 1986.

Bukatman, Scott, Blade Runner. London: bfi modern classics 1997.
Scott, Ridley, Blade Runner. USA 1982 (Director´s Cut 1992)

http://www.geocities.com/Area51/Hollow/2405/blade.html#7

Dick, Philip K., The Simulacra. Magnum 1977 (Orig. 1964)

Baudrillard, Jean, Simulation und Verführung. München : Fink 1994

Dienstag, 9. Juni 2009

Konstruieren Medien tatsächlich Wirklichkeit?

Ist die Wirklichkeit durch Medien konstruiert, oder bilden diese lediglich die Wirklichkeit ab?
Ist die Realität, so wie wir sie erleben, von uns geschaffen, oder reagieren wir nur ohne eigentlichen Einfluss auf diese?
Solche und ähnliche Fragen stellt sich die Philosophie seit Anbeginn ihrer Zeit. Von Platon über Hegel bis Baudrillard haben verschiedendste Philosophen teilweise ganz eigene Theorien über diese Thema entwickelt.
Grundlage meiner Erarbeitung ist zu Großteil der Text "Was heißt Medien konstruieren Wirklichkeit von Stefan Weber, der sich eher mit einem empirische- und weniger mit einer ontologischen Argumentation befasst.

In der postmodernen Philosophie (und Medienkritik) lassen sich diesbezüglich der Konstruktivismus und der Realismus gegenüberstellen, die beide die Frage behandeln, ob eine bestimmte Instanz die Wirklichkeit, die sie zu erkennen glaubt, selbst hervorgebracht, oder bloß abgebildet hat . Während der Realismus davon ausgeht, dass es eher, oder ausschließlich die Wirklichkeit ist, die auf die Instanz (was immer es auch sei) einwirkt, geht der radikale Konstruktivismus davon aus, dass es die Instanz ist, die im Akt des Erkennens die Wirklichkeit erzeugt.
Verschieden Spielarten des Konstruktivismus beschäftigens sich dabei jeweils mit unterschiedlichen Entitäten, wie beispielsweise dem Gehirn als konstruierende Instanz (Neurobiologischer Konstruktivismus), der Kultur (Konstruktivistischer Kulturalismus), oder eben (Massen-)Medien (Medienkultureller Konstruktivismus)(Weber, Stephan, 2002, S.11ff.).

Stefan Weber selbst sieht sich selbst in diesem Diskurs weniger als radikaler-,
sondern eher als empirischer Konstruktivist, da er persönlich die Auffassung vertritt, dass Medien Wirklichkeit zwar konstruieren können, dies aber nicht a priori der Fall sein muss.
Gleichzeitig vertritt er die Ansicht, dass besonders in der heutigen Zeit Wirklichkeit tatsächlich immer mehr von Medien konstruiert wird, wobei die Tendenz stätig steigend ist (Weber, Stephan,S.14.ff 2002). Als Beispiele für seine These nennt er vor allem TV-Formate. Reality-TV beispielsweise, könne Realität zwar auch abbilden, doch sobald dies subjektive Züge annimmt klar wirklichkeitskonstruierend sei. Genau das gleiche gelte ebenfalls für den Informationsjournalismus, der sich teilweise immer weiter in Richtung "nicht gekennzeichneter Image- und Markenpflege" entwickele(Weber, Stephan,S.15.ff 2002).
mindfuck-riot
Um konkrete Beispiele hierfür zu finden, genügt ein Blick in den Fernseher. Die neue "Bundeslade" gibt einfache Antworten auf komplizierte Frage und liefert gleichzeitig einen Umfangreichen Wertekatalog, den der Konsument guten Gewissens übernehmen sollte. Formate, wie "Germanys Next Topmodel"(2009 Pro /), vermitteln hier, bei angeblicher vielfältigkeit, doch ein relativ einheitliches Frauenbild- sowohl in optischer-, als auch in charakterlicher Hinsicht.
Solche und ähnliche Werteübermittungen laufen natürlich nicht nur über das Fernsehen. Längst haben sich etliche "Männermagazine" auf die Bedürfnisse des modernen Mannes angepasst, "GQ", "Men`s Health", um nur zwei zu nennen. Doch spiegeln die präsentierten Werte und Maßstäbe tatsächlich das Selbstverständnis, oder das Bild des Mannes in der Gesellschaft wieder, oder tragen sie erst zu der Entstehung dessen bei? Wie bereits Erich Fromm feststellte , ist "das Konsumieren [..]heute eine ebenso große Tugend, wie das Sparen und Horten vor 100 Jahren" (Fromm, Erich 2000). Gemäß dessen wird vor allem finanzielle Unabhängigkeit als wichtiges Kriterium für Glück gesehen und propagiert. Durch die Präsentierung dieser Werte in einer so omnipräsenten und kritikloser Art und Weise, seien sie nun Spiegelbild oder nicht, wird zumindest eine Veränderung der Werte, bzw. ihrer Ausrichtung praktisch unmöglich gemacht und so doch wieder Realität konstruiert.
An ähnliches Mediales Dogma ist auch in "The Simulacra" anzutreffen, wo besonders das Fernsehen als Apparat der Wertevermittlung fungiert. Er dient Hauptsächlich zur Festigung, bzw. Intakthaltung der Machtverhältnisse, insbesondere den Personenkult um Nicole Thibodeaux.



Weber, Stephan, Was heißt "Medien konstruieren Wirklichkeit" in: Medienimpulse- Beirtäge zur Medienpädagogik, S. 11- 16, 2002
http://www.mediamanual.at/mediamanual/themen/pdf/diverse/40_Weber.pdf

http://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_(Philosophie)

Dick, Philip Kindred, The Simulacra (1964) 2005, Heyne Verlag, München

Fromm, Erich, Authentisch leben, 2008 (2000), Hrsg. the Estate of Erich Fromm, Verlag Herder GmbH, Freiburg

Montag, 1. Juni 2009

Die ins Haus gelieferte Realität

Der Fernseher als simulierte Realität. Der Fernseher als Instrument der Macht. Der Fernseher als Kontrollorgan. Der Fernseher als ein zentraler Punkt im Leben der Menschen. So ungefähr könnte man dieses Gerät in "The Simulacra" definieren. Ein Objekt ohne Bewusstsein, welches Bewusstsein konstituiert.


Testbild

"[...] wir sind dennoch dabei, blicken durch das sorgfältig modulierte Fenster unseres Fernsehapparates in das Allerheiligste." (Dick 1964: 24)

Dieser Satz Ian Duncans lässt schon eine Schlussfolgerung, aus welchem Blickwinkel der Fernseher betrachtet wird, zu: Das Gerät als Fenster zur Welt, als Teleskop, welches die Möglichkeit bietet, Realität in den eigenen vier Wänden zu erleben. Wenn Ian Duncan schon nicht physisch - also "wirklich", "real" - im Weißen Haus bei Nicole Thibodeaux sein kann, hat er durch den Apparat wenigstens die Möglichkeit, sich den Anschein einer Teilnahme vorzugaukeln und damit auch den Anschein, dieselben Erlebnisse machen zu können, als wäre er "wirklich" dort. Ich spreche bewusst von "Anschein", denn in Wahrheit macht Duncan nicht dieselben Erfahrungen mit dieser "Schein-Anwesenheit". Seine Erfahrungen werden nämlich nicht nur von Bild und Ton produziert, auch das Medium selbst - der Fernsehapparat - ist Teil der Erfahrung. Er nimmt nicht teil, er konsumiert nur das Bild.

Günther Anders nennt dies den "Bilderbuch-Effekt". (vgl. Anders 1956: 100)




"Was uns prägt und entprägt, was uns formt und entformt, sind eben nicht nur die durch die 'Mittel' vermittelten Gegenstände, sondern, die Mittel selbst, die Geräte selbst: die nicht nur Objekte möglicher Verwendung sind, sondern durch ihre festliegende Struktur und Funktion ihre Verwendung bereits festlegen und damit auch den Stil unserer Beschäftigung und unseres Lebens, kurz: u n s." (Anders 1956: 100)

Anders hat in diesem Satz sehr deutlich formuliert, dass uns nicht nur die Botschaft, sondern auch das Medium, welches die Botschaft vermittelt, prägt bzw. Einfluss nimmt, wie wir rezipieren.

Wie wird der Fernseher in "The Simulacra" verwendet, bzw. was macht er aus den Menschen?

Nicole Thibodeaux verwendet dieses Medium ganz klar, um die Menschen an sich zu binden. Sie schafft durch den Apparat eine eigene Realität von ihr, ein bestimmtes Bild, welches sie in den Augen der Bürger zum "Über-Menschen", zum geistigen Führer einer Nation macht, zur letzten Instanz für die Entscheidung über richtig und falsch.

"Wir sollen nicht zu viel an den Mars denken, daran, wie man sich von der Partei - und von Nicole - lösen kann." (Dick 1964: 26)

Weiters wird der Fernseher als Kontrollorgan benutzt. So können die Bürger beispielsweise bei einem "Überraschungsquiz" durch gute Ergebnisse ihre Loyalität bzw. "Fahnentreue" beweisen, oder einfacher gesagt: ihren Nutzen in der Gesellschaft. (vgl. Dick 1964: 25)

Ebenso gaukelt der Fernsehapparat den Bürgern ein demokratisches Recht vor, welches sie durch den Fernseher geltend machen können, wie etwa, ob sie eine Ansprache sehen wollen oder nicht. Je nachdem, wieviele Leute welchen Knopf am Fernseher drücken, wird die Rede weitergesendet oder nicht. (vgl. Dick 1964: 31) Fraglich ist hierbei nur, ob sich die Fernsehanstalt wirklich nach dem Wunsch der Mehrheit richtig - schließlich sind die Ergebnisse für die Masse nicht überprüfbar.

Das Fernsehen macht die Menschen in "The Simulacra" jedoch nicht nur zum Massenmenschen, sondern auch zu Hersteller des Massenmenschen. Wie das?

"Massenmenschen produziert man ja dadurch, daß man sie Massenware konsumieren läßt; was zugleich bedeutet, daß sich der Konsument der Massenware durch seinen Konsum zum Mitarbeiter bei der Produktion des Massenmenschen (bzw. zum Mitarbeiter bei der Umformung seiner selbst in einen Massenmenschen) macht. Konsum und Produktion fallen hier also zusammen." (Anders 1956: 103)

Anders geht hier aber noch weiter und führt seinen Gedanken konsequent zu Ende:

"Vollends paradox wird der Vorgang dadurch, daß der Heimarbeiter, statt für diese seine Mitarbeit entlohnt zu werden, selbst für sie zu zahlen hat; nämlich für die Produktionsmittel (das Gerät und, jedenfalls in vielen Ländern, auch für die Sendungen), durch deren Verwendung er sich in den Massenmenschen verwandeln lässt. Er zahlt also dafür, daß er sich selbst verkauft; selbst seine Unfreiheit, sogar die, die er mitherstellt, muß er, da auch diese zur Ware geworden ist, käuflich erwerben." (Anders 1956: 103)

Das wichtigste Wort im vorangegangenen Zitat ist - im Bezug auf "The Simulacra" - für mich das Wort "Unfreiheit". Dieses Wort spiegelt nämlich eines der Hauptgefühle der verschiedenen Romanfiguren. Man könnte fast sagen, dass das Gefühl der Unfreiheit ein zentrales Thema in den Gedanken der Figuren ist, ja fast schon den "Zeitgeist" der Romanwelt wiedergibt. Als Beispiel ließe sich hier der Wunsch einiger Figuren, auf den Mars auszuwander, nennen - und das, obwohl das Leben dort wesentlich beschwerlicher, aber auch freier wäre.

Der Fernseher in der Romanwelt konstituiert Realität. Diese Aussage lässt sich leicht anhand einer Stelle in "The Simulacra" verifizieren, in der Ian Duncan von Nicole Thibodeaux spricht:

Al fragt Ian:
"Bist du wirklich so sehr von einer Frau abhängig, die du noch nie in deinem Leben gesehen hast? Das ist doch schizophren. Du bist [...] von einer Illusion abhängig. Von etwas Synthetischem, Unwirklichem." (Dick 1964: 146)

Ian antwortet Al darauf:
"Was ist unwirklich? Was ist wirklich? Für mich ist sie wirklicher, als alles andere, dich eingeschlossen. Sogar wirklicher als ich selbst, als mein ganzes Leben." (Dick 1964: 146)

Wir sehen also wie weit sich Ian Duncans Realitätsbild bereits verschoben hat, das Realitätsbild von einer Frau, die er bis dato nur im Fernsehen gesehen hat und sie trotzdem für realer als alles andere - einschließlich sich selbst - hält. Wie konnte es aber soweit kommen; ist es tatsächlich möglich, dass der Fernsehapparat der Auslöser dieser Umformung von Wirklichkeit war?

"Wenn es [das Gut, Anm. d. Verf.] erst in seiner Reproduktionsform, also als Bild sozial wichtig wird, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Bild aufgehoben." (Anders 1956: 111)

und weiter:
"Wenn das Ereignis in seiner Reproduktionsform sozial wichtiger wird als in seiner Originalform, dann muss das Original sich nach seiner Reproduktion richten, das Ereignis also zur bloßen Matrize der Reproduktion werden." (Anders 1956: 111)

Auch die Aussage dieser Zitate kann durch den Roman belegt werden, nämlich durch das Verhältnis von Alter und optischer Erscheinung der First Lady Nicole Thibodeaux. Obwohl sie eigentlich schon 90 Jahre alt sein müsste (vgl. Dick 1964: 146), sieht sie immer noch wie 20 aus (vgl. Dick 1964: 144). Das Original richtet sich nach seiner Reproduktion - wenn auch durch den "relativ billigen" Trick, immer wieder neue, junge Schauspielerinnen als Nicole zu präsentieren.

Man sieht also, welch wichtige Stellung der Fernsehapparat in der Romanwelt von "The Simulacra" einnimmt; fast schon als ein zentrales Machtinstrument. Er konditioniert die Bürger und sichert der Regierung auf diese Weise eine Vormachtsstellung, die es ihr ermöglicht, totalitär zu regieren und trotzdem den Anschein von Demokratie zu wahren. In diesem Zusammenhang sollten wir uns vielleicht auch überlegen, welchen Stellenwert das Fernsehen in unserer Gesellschaft bereits hat und wohin uns das möglicherweise noch führen wird...

Bibliographie:

Anders, Günther (1956): Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: Beck, 2002.
Dick, Philip Kindred (1964): Simulacra, München: Heyne, 2005.
Bild aus wikicommons, abgerufen am 01.06. 2009, LINK:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Big-logo-fon.jpg

Hier noch der Link zu einem Kurzfilm: "Simon" (von Niklas Horn), welcher sich auch mit der Thematik des Fernsehens beschäftigt - unbedingt anschauen!!!!!
http://freerainer.kinowelt.de/Gewinner/read/file/Simon/

Montag, 13. April 2009

Ist unsere Welt nur simuliert?

Wenn wir diese Frage bejahen würden, müssten wir einer weiteren Tatsache ins Auge sehen: Wir sind dementsprechend auch simuliert! Aber gehen wir Schritt für Schritt vor.

Zuerst möchte ich den Leser mit jemandem bekannt machen: Nick Bostrom, Direktor des "Future of Humanity Institute" an der Universität Oxford. Seine Forschungsfelder umfassen Wissenschaftstheorie, Grundlagen von Wahrscheinlichkeitstheorien, Ethik, sowie neu entstehende Technologien. Bostrom hat eine sehr interessante Abhandlung verfasst, die ich nun in groben Zügen erläutern will.

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The Simulation Argument

Bostrom Aufsatz beschäftigt sich mit der Möglichkeit(!), dass wir in einer Computer-Simulations leben, bzw. eine sind. Sofort wird man bei dieser Aussage an Filme wie "Matrix", "Vanilla Sky" oder auch an Bücher von Philip K. Dick denken - wir bewegen uns also in die richtige Richtung!

Bostrom Voraussetzung für seine Theorie ist einerseits, dass einer der Gründe unseres "Stolzes" der technologische Fortschritt ist, andererseits aber die momentan fortschrittlichsten Technologien äußerst eingeschränkt und primitiv sind - im Vergleich zu den Technolgien die unsere Nachkommen besitzen werden. Hiermit kommen wir zur ersten These Bostroms:
Zukünftige Zivilisationen werden über genügend Rechnerleistungen sowie Programmierkenntnisse verfügen, um in der Lage zu sein, Simulationen unserer Vorfahren bzw. einer zeitlich früheren Welt ("ancestor simulations" im Orig.) zu initialisieren. Diese Simulationen werden äußerst detailliert sein, um genau zu sein so detailliert, dass der simulierte Geist sich selbst bewusst ist, d.h. über ein Bewusstsein verfügt und auf die selben Erfahrungen wie wir zurückgreifen bzw. diese noch machen kann. Es besteht eine äußerst realistische, aber virtuelle Umgebung, wo aber die "Personen", welche in dieser Welt leben, selbst Simulationen sind.
Schlussfolgerung des "Simulation Argument" ist, dass zumindest eine der folgenden drei Möglichkeiten richtig ist:
  1. Praktisch alle Zivilisationen sterben aus, bevor sie über die für die Simulation notwendigen technischen Fähigkeiten verfügen.
  2. Der Anteil an technisch fähigen Zivilisationen, welche ein Interesse an einer solchen Simulation hätten, liegt bei praktisch null.
  3. Wir leben höchstwahrscheinlich in einer Computer-Simulation.
Ist nun die erste Möglichkeit falsch, dann ist gesichert, dass eine signifikante Anzahl an Zivilisationen die erforderlichen technischen Fähigkeit zur Bildung einer solchen Simulation erreichen werden. Wenn auch die zweite Möglichkeit falsch ist, impliziert dies, dass eine signifikante Anzahl an Zivilisationen derartige Simulationen ablaufen lassen.
Sind also Möglichkeit eins und zwei falsch bedeutet dies ein Bestehen von "simuliertem Bewusstsein", welches unserem Bewusstsein, also wie wir uns und die Welt erleben, gleicht. Wenn man nun weiter davon ausgeht, dass diese Zivilisationen über enorme technische Möglichkeiten verfügen, können sie auch mehr als eine Simulation, viel wahrscheinlicher sogar Milliarden von Simulationen ablaufen lassen, wobei jede einzelne davon soviel Personen enthalten kann, wie jemals existierten. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Simulation sind, ist also wesentlich höher, als dass wir keine sind - da Möglichkeit eins und zwei falsch sind, muss Möglichkeit drei richtig sein!

Möglichkeit drei wäre philosophisch die faszinierenste. Wenn wir wirklich in einer Computer-Simulation, welche von einer fortschrittlichen Zivilisation erschaffen wurde, "leben" würden, hätten Wissenschaftler und Forscher wie z.B. Kopernikus und Darwin nicht die Abläufe und Gesetze der Realität sondern die einer simulierten Welt entdeckt. Diese Gesetze und Abläufe könnten zwar dieselben wie in der fundamentalen Realität - also der Realität der Simulatoren - sein, wobei natürlich auch die Simulatoren selbst nur eine Simulation einer noch höher entwickelten Zivilisation sein könnten.
Was würde diese Erkenntnis - nur eine Simulation zu sein - für uns bedeuten bzw. was würde passieren? Selbst wenn wir in einer Simulation leben würden, hätten wir nie eine wirkliche Bestätigung. Wirkliche Bestätigung würden wir nur haben, wenn die Simulatoren uns wissen lassen würden, dass wir in einer Simulation leben. Haben die Simulatoren allerdings kein Interesse daran - nun, wir würden es nie erfahren. Einzig wenn unsere Zivilisation selbst kurz davor wäre, eine derartige Simulation in Gang zu setzen, könnten wir mit großer Sicherheit sagen, dass die ersten beiden Möglichkeiten falsch sind und somit die dritte stimmen muss.
"The Simulation Argument" sagt nicht, dass wir in einer Computer-Simulation leben, nur dass mindestens eine der drei oben genannten Möglichkeiten richtig ist - wir wissen allerdings nicht, welche!
http://www.simulation-argument.com/computer.pdf
http://www.simulation-argument.com
http://www.nickbostrom.com

"The Simulation Argument" und "Simulacra"

Versuchen wir nun Bostroms Theorie und den Roman "Simulacra" von PKD miteinander zu verbinden. Die Gesellschaft im Roman ist höchst technisiert, der beste Beweis für ihre technologischen Möglichkeiten ist wohl der "von-Lessinger-Zeitreiseapparat". Es ist also höchst wahrscheinlich, dass diese Zivilisation auch die Möglichkeit hätte, eine wie weiter oben angesprochene Simulation ablaufen zu lassen. Was ein fundierter Beweis wäre, dass es auch andere Zivilisationen gibt, die dies bereits getan haben. Ebenso hat die Zivilisation im Roman augenscheinlich durchaus Interesse eine derartige Simulation zu starten. Möglichkeit eins und zwei wären also falsch, womit Möglichkeit drei richtig ist, was bedeuten würde, dass die Romanwelt eine simulierte ist. Eine interessante Stelle im Buch ist außerdem jene, in der der Pianist Richard Kongrosian die ganze Welt in sich "aufsaugt":

Wenn diese Prozedur anhält, werde ich bald das ganze Universum umhüllen, und nur noch meine Organe werden außen sein. (Dick 1964: 236)

Womit haben es wir hier zu tun? Einer Überfunktion der psychokinetischen Kräfte Kongrosians? Wir wissen es nicht. Nicht mal Kongrosian selbst weiß es:

Etwas Schreckliches geschieht mit mir, [...] ich kann nicht mehr zwischen mir und meiner Umgebung unterscheiden. (Dick 1964: 235)

Je komplizierter ein Computer-Programm ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es Fehler enthält. Im Film "Matrix" manifestieren sich diese Fehler als "Deja Vus", z.B. in der Szene, in der Neo eine schwarze Katze sieht und das Gefühl hat, genau die gleiche Situation schon einmal erlebt zu haben. (vgl. Wachowski 1999). Könnte es also nicht sein, dass auch Kongrosians "Zustand" eigentlich nur ein Fehler im Simulations-Programm ist?
Philip K. Dick wird uns auf diese Fragen leider keine Antwort mehr geben können; eine derartige Rezeption würde jedoch eine ganz neue Betrachtungsweise des Romans ermöglichen und dem Titel "Simulacra" einen viel tieferen Sinn geben, als ursprünglich angenommen....

Bibliographie:

Dick, Philip Kindred (1964): Simulacra, München: Heyne 2005.
Wachowski, Andy/Wachowski, Larry (Regie) (1999): Matrix, DVD, Warner Home Video 2005.
http://www.simulation-argument.com/computer.pdf
abgefragt am 13.04. 2009

Samstag, 11. April 2009

"You're watching Big Brother"

Anders als in dem von George Orwell in seinem Roman „1984” skizzierten totalitären Überwachungsstaat, welcher durch den Satz „Big Brother is watching you“ geprägt ist, gewinnt die Regierung in Philip K. Dick’s „Simulacra“ ihre autoritäre Macht aus einer viel unterschwelligeren Methode. Während das von Orwell geschaffene Machtgefüge von der genauen, ständigen Beobachtung und Kontrolle der Bürger durch „Teleschirme“ abhängt, gibt die „Ge“-Regierung bei Dick vor, es handle sich um eine Demokratie, in deren Gefüge die „Bes“ täglich durch das Medium Fernsehen, Einsicht und Mitbestimmungsrecht erhalten. Das Problem an diesem „gläsernen Staat“ ist jedoch, dass die übermittelten Informationen zumeist aus völlig sinnlosen Dokumentar- oder Kunstbeiträgen bestehen, welche nicht der Aufklärung dienen, sondern vielmehr einer Zerstreuung und Ablenkung des einfachen Volkes zuspielen. Neben Beiträgen über „glotzäugige Fische“ oder die Porzellansammlung der First Lady nimmt v.a. die Talentshow des Weißen Hauses einen Hauptprogrammteil ein. Für den einfachen, begabten „Be“ der „Simulacrawelt“ scheint es keine höhere Ehre zu geben, als einmal in dieser Sendung auftreten zu können, also einmal Eingang ins Weiße Haus zu erhalten, und die First Lady „Nicole Thibodeaux“ durch eine besondere Fähigkeit erfreuen zu dürfen.
Auf diese Weise nimmt Dick nicht nur den unsere heutige Gesellschaft bestimmenden „volksverdummenden, [...]-sucht-den-Superstar-Wahn“ vorweg, sondern zeigt hier gleichzeitig auch auf, wie der eigentliche Sinn eines Bildungsmediums in sein Gegenteil verkehrt werden kann. Der einfache Bürger glaubt nämlich über die Regierung genau Bescheid zu wissen, da er Einblick in das private Leben von Nicole erhält, und ihm sogar der Zugang zum Weißen Haus offen steht, wenn er sich nur genügend bemüht. Diese Teilhabe am Machtapparat spielt sich jedoch auf einer reinen Unterhaltungsebene ab, sodass die wahren Funktionsweisen und Organe des Staates für das Volk unantastbar bleiben. Die Kommunikation besteht also, genau wie in Baudrillards Medienkritik, aus einer „Rede ohne Antwort“ (Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Baudrillard ), also aus der Informationsübermittlung von einem „starren Sender“ zu einem „stummen Empfänger“.
Zwar werden im Buch auch Plebiszite beschrieben, doch betreffen diese nur unwesentliche Entscheidungen, wie etwa eine Verbesserung der Tonqualität der übermittelten Botschaft, und nehmen letztlich keinen Einfluss auf den Inhalt der Botschaft selbst.

Einfache „Bes“ wie etwa Ian Duncan scheinen zwar um die „Falle“ zu wissen, in der sie sich befinden, können jedoch dem Zauber der First Lady nicht entgehen, welche sie auf mehrfache Art zu lieben scheinen, u.a. als „Mutter, Ehefrau oder Herrin“. Dadurch dass diese Art der Gehirnwäsche auf „Liebe“ und „Familiensinn“ basiert, erscheint es auch nicht mehr verwunderlich, dass die „Kinder“ dieses Systems die Sendungen im Fernsehen bereitwillig ansehen und sich, im Gegensatz zu dem Protagonisten Winston Smith in „1984“, keinem Zwang ausgesetzt fühlen.

Trotzdem unterscheiden sich die beiden Regierungssysteme nicht darin, dass sie dem einfachen Volk ihren Willen aufzwingen wollen, auch wenn dies mit unterschiedlichen Methoden geschieht.
Nach Arthur Schopenhauers Empfinden wäre allerdings vermutlich die Form der Repression in Orwells Dystopie, die auf Gewalt und Gewaltandrohung basiert, der listigeren Vorgehensweise der „Ges“ in „Simulacrum“ noch vorzuziehen. Eine der schlimmsten Formen der Willensunterwerfung sieht der pessimistische Philosoph nämlich in der „Motivation“ (Vgl.: Konrad Paul Liessmann. Über Wahrheit und Lüge. In: Der Wille zum Schein, S.25f.). Diese stellt für ihn – aus der Perspektive des „Täters“ -, nichts anderes dar, als die Absicht, den anderen davon zu überzeugen, dass dessen Motive mit den eigenen übereinstimmen, und ihn durch diese „Scheinmotive“, die er verinnerlicht, dazu zu bringen etwas zu tun, was er eigentlich nicht will. Die Machthaber in Dicks Roman belügen die „Bes“ also nicht einfach, in dem Sinne, dass sie ihnen etwas anderes sagen, als sie selbst für wahr halten, vielmehr versuchen sie direkt Einfluss auf das Wahrheitsempfinden und Erkenntnisvermögen der Bürger zu nehmen und sie unmittelbar in ihrem Bewusstsein, ihrem ursprünglich freien Willen zu beeinflussen und zu steuern.
Vergleichbar wäre diese Methode wohl am ehesten mit unserer heutigen Werbeindustrie, die aus Schopenhauers Perspektive wohl auch eine „gigantische Lügenmaschine“ darstellen würde, welche den Menschen gegen seinen Willen zu Dingen bewegen möchte, von denen er glaubt, sie seien seinem eigenen Willen entsprungen (Vgl.: Liessmann: Ebd. S.29).
Einen besonders konzentrierten Versuch Einfluss auf den freien Willen zu nehmen, könnte man beispielsweise in den Werbestrategien großer Online-Versandthäuser entdecken. Diese speichern sämtliche Informationen, der von einem Kunden bestellten und betrachteten Objekte und bieten ihm später ähnliche Produkte an, welche angeblich mit seinem Käuferprofil übereinstimmen. Dadurch machen sie den Konsumenten glauben, dass diese Angebote seinen Wünschen entsprechen und nehmen somit folglich Einfluss auf sein Unterbewusstsein.

Der Einflussbereich der aktuellen PR-Welt liegt allerdings noch weit hinter der von Philip K. Dick prognostizierten Zukunft der Werbebranche zurück. In diesem Universum gibt es winzige „Theodorus-Nitz-Maschinen“, die in alle Bereiche des Lebens, gleich „lästigen Mücken“, massenhaft vordringen können und es vermögen den Empfänger ihrer Botschaft auf eine so penetrante Weise zu beeinflussen, dass sich aus ihrer Information – wie etwa bei Richard Kongrosian – sogar Neurosen entwickeln können. D.h. der Einfluss der Werbeindustrie dringt in Dicks prophezeitem Universum aggressiv bis ins Unterbewusstsein der Bevölkerung vor.
Derartige, die Psyche des Volkes belastende Faktoren scheinen den „Ges“ in „Simulacra“ zu dienen, da sie die Zerstreuung in den Köpfen der „Bes“ verstärken und davon abhalten sich Gedanken über die Funktionsweisen des Staates zu machen. Eine ähnliche Intention dürfte die Regierung wohl mit der zu Beginn des Romans erlassenen „McPhearson-Verordnung“ verfolgen. In dem Verbot der Psychoanalyse und dem statt dessen erfolgenden Einsatz von Drogen zur Behandlung psychischer Probleme, könnte man ebenfalls den Versuch erkennen, den Bürger von Gedanken über sich selbst und seine Situation abzubringen und ihn statt dessen in einen apathischen Zustand zu versetzen.

Was bringt den psychisch gesunden, nicht von Drogen beeinflussten Menschen im Universum von „Simulacra“ aber nun dazu der Regierung so bedingungslos zu vertrauen? Wie schaffen es die Machthaber in ihm eine derartige Liebe gegenüber der First Lady zu wecken?
Die Antwort darauf lässt sich ebenfalls in der Täuschung finden. Nicole Thibodeaux verdankt ihre Perfektion nämlich der Tatsache, dass sie eigentlich nur eine Rolle für mehrere Schauspielerinnen ist, die sie seit über siebzig Jahren nacheinander verkörperten. Fehler der Regierung können hingegen auf den jeweils amtierenden „Alten“ abgewälzt werden, der in Wirklichkeit auch nur ein „technisches Simulacrum“ ist, das alle paar Jahre durch einen „neuen Alten“ ersetzt wird.
Die Idee einen Schauspieler in ein politisches Amt einzusetzen ist nicht neu, doch entstand Dicks „Simulacra“ noch vor der politischen Karriere populärer Beispiele wie etwa Ronald Reagan, Arnold Schwarzenegger oder Peter Sodann. Ist also derjenige, der sich gut zu verstellen vermag, der geeignetere Kandidat für die politischen Bühne?
Im Prinzip verwies bereits Platon in seinem Dialog „Der kleinere Hippias“ (Vgl.: Liessmann. Ebd. S. 12) indirekt auf diese Option. Darin vertritt er die These, dass derjenige, der gut lügen kann – sieht man einmal von moralischen Aspekten ab -, eigentlich der kompetentere Mensch ist, da er mehr Handlungsmöglichkeiten besitzt. „Die Fähigkeit zu lügen setzt nämlich das Wissen der Wahrheit voraus.“ (Vgl.: Liessmann. Ebd. S. 13) Genau wie ein schneller Läufer, sowohl schnell, als auch langsam laufen kann, ein langsamer jedoch nicht einfach schnell, hat der Lügende immer auch die Option die Wahrheit zu sagen. Die Lüge oder Verstellung sind demnach als kommunikative Kompetenzen zu betrachten, während Wahrhaftigkeit immer die „einfachere“ Variante, also einen Mangel anzeigt. Des weiteren benötigt ein guter Lüger auch ein gutes Gedächtnis, damit er sein Lügengebäude aufrechterhalten kann. „Der Lügner muss also kreativ sein, etwas von einem Schauspieler an sich haben und über eine souveräne Kontrolle seines Erinnerungsvermögens verfügen, um jenen Widersprüchen zu entgehen, an denen der schlechte Lügner rasch zu scheitern pflegt“ (Vgl.: Liessmann. Ebd. S.15).
Auf die Frage wann und wo die „Kompetenz Lüge“ nun gerechtfertigt eingesetzt werden darf, kommt Platon in den Bereich der Politik. Seiner Ansicht nach darf die Lüge nur von Staatsführern in Notsituationen gegenüber inneren oder äußeren Gefahren als strategisches Mittel zum Einsatz kommen. Was wäre der Sinn einer Geheimdienst- oder Spionageaktion ohne die Lüge? Würde die öffentliche Ehrlichkeit von Politikern in Katastrophensituationen nicht oft zu einer Massenpanik führen?
Menschen werden jedoch häufig nicht von idealistischen sondern eigenen machtpolitischen Interessen angetrieben, sodass ihre Kompetenz der Verstellung oft nur dem Machterhalt Einzelner dient – wie etwa in der dystopischen Welt von „Simulacra“ - und nicht dem Gemeinwohl.

Bibliographie:

Dick, Philip K.: Simulacra. München: Heine, 2005.
Liessmann, Konrad Paul [hrsg.]: Der Wille zum Schein. über Wahrheit und Lüge. Wien: Zsolnay, 2005.
Orwell, George: 1984. Frankfurt/M; Berlin: Ullstein, 1992.
Robinson, Kim Stanley: Die Romane des Philip K. Dick: eine Monographie. Berlin: Shayol, 2005.
Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Gesamtausgabe. München, dtv.: 2002.
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