Dienstag, 7. April 2009

Grenzen der Wahrnehmung

Warum baut Hiroshi Ishiguro einen ihm selbst ähnlichen Androiden? Die Antwort auf diese Frage erscheint zunächst sehr einfach: Ishiguro ist ein Mensch und somit ein denkendes, von Neugier bestimmtes Wesen. Aber warum ist unser Dasein überhaupt von einem so starken Wissensdurst bestimmt? Und was kann man überhaupt wissen?
Der Mensch lebt in einer Welt, die bestimmt ist vom „Absolutismus der Wirklichkeit“ (Hans Blumenberg), einer Welt also in der er sich nicht auskennt. Aus dieser Unwissenheit resultieren Ängste, die das denkende Subjekt überwinden möchte indem es forscht und versucht sich Wissen anzueignen. Man möchte das Unerklärliche erklärbar machen und verstehen, wie das was ist zu dem geworden ist, was es ist.
So ist es nicht verwunderlich, dass man als Erdenbürger beispielsweise bei Naturkatastrophen die eigene Ohnmacht gegenüber der Wirklichkeit erkennen muss und deren Grund in einem stärkeren Wesen oder einer dem Menschen überlegenen Ursache sucht. Dabei stößt das denkende Subjekt aber gleich wieder an eine Grenze, da der Mensch nur sich selbst kennt und somit zum Maß der Dinge wird. Schon der vorsokratische Philosoph Xenophanes hatte die Idee, dass die griechischen Götter nicht die Menschen, sondern die Menschen die Götter schufen, dies versuchte er satirisch zu belegen, indem er behauptete, dass die Götter der Löwen, wenn diese Hände hätten und malen könnten, wie Löwen aussähen.
Wir glauben also, dass wir eine Handlung verstehen können, wenn wir sie erzählen können, bzw. dass wir den Menschen verstehen können, indem wir ihn – wie Hiroshi Ishiguro - nachbilden.

Im zukünftigen Universum von Philip K. Dick’s „Simulacra“ nehmen die Ersatzwesen zumeist ebenfalls eine sehr hohe Stufe in der Gesellschaft ein und dienen der arbeitenden Bevölkerung, den „Bes“, als Vorbilder oder Idealtypen, denen sie teilweise sogar in einer Art Liebe verfallen sind.
Sowohl die antiken Götter, als auch aktuelle Androiden, sowie die Simulacren aus Dick’s Welt ähneln also in Gestalt und Eigenschaften dem menschlichen Wesen.
Der Mensch ist auf die menschliche Dimension und deren begrenzte Sinneswahrnehmung beschränkt. Genau wie Katzen beispielsweise nur schwarz-weiß sehen können und ihre Sinneswahrnehmung in dieser Hinsicht der anderer Lebewesen unterliegt, ist auch die menschliche Wahrnehmung gegenüber der Wirklichkeit begrenzt. Was einem die Sinnesorgane erlauben wahrzunehmen, das hält man für die einzige Wahrheit, weil man eben, genau wie in Platons Höhlengleichnis, „nur in eine Richtung blicken“, bzw. nur durch die eigene menschliche Perspektive wahrnehmen kann.
Findet nun aber beispielsweise durch eine psychische Krankheit eine „Trübung“ der Wahrnehmung statt, kann sich der gesamte sensualistische Horizont eines Menschen und als Folge daraus auch seine Handlungen verändern. Die fiktive Figur Richard Kongrosian aus Philip K. Dick’s Roman erkrankt beispielsweise an einer Neurose, wodurch sie glaubt durch ihren schlimmen Körpergeruch ihre Mitmenschen abzuschrecken. Folglich ist sie stetig bestrebt diesen aus dem Weg zu gehen. Oft können Menschen, die an einer solchen Erkrankung leiden, gar nicht erkennen, dass sie einer „Selbsttäuschung ihres Gehirns“ unterliegen. Kongrosian hingegen nimmt diese psychische Störung durchaus wahr, ist ihr jedoch trotzdem ausgeliefert.

Die Mehrheit der Menschen glaubt jedoch psychisch gesund zu sein und in einander ähnlicher Weise wahrzunehmen. Man glaubt also zu wissen, dass - und in welcher Form - die eigenen Sinnesorgane täuschungsanfällig sind, und versucht aus dem Vergleich mit den Mitmenschen eine Art Normalfall herzuleiten. Trotzdem ist damit noch nicht bewiesen ob das, was wir wahrnehmen auch wirklich der Realität entspricht. Was, das ich an der Wirklichkeit wahrnehme, ist also nun wirklich wahr?
Der Philosoph Descartes gibt auf diese Frage eine sehr ernüchternde Antwort. Seiner Ansicht nach kann man nichts mit Bestimmtheit wissen, alles ist anzweifelbar. Einen kleinen Ausweg findet er jedoch, indem er feststellt, dass, wenn alles eine Täuschung ist, etwas existieren muss, das getäuscht werden kann. Sein „cogito ergo sum“ beinhaltet also einen Existenzbeweis. Das Denken, dass man getäuscht werden kann, ist für Descartes eine gesicherte Erkenntnis und ein Beweis dafür, dass man existiert.
Ansonsten ist unserer Wahrnehmung leider trotzdem sehr täuschungsanfällig. Einerseits können wir uns selbst bewusst oder unbewusst täuschen was sich sehr leicht z.B. anhand von Träumen beweisen lässt, da diese als real erlebt werden, bzw. reale Gefühle hervorrufen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht als Realität angesehen werden. Auf der anderen Seite versucht der Mensch auch seit jeher sich das Wissen um die Täuschungsanfälligkeit der Sinne zu Nutze zu machen um dadurch Macht über andere Menschen zu erlangen.

Arthur Schopenhauer legte in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ das Sein als ein Resultat der menschlichen Vorstellung fest, dass jedoch mit dem Willen einem voluntaristischen Prinzip unterworfen ist. Nietzsche griff diesen Gedanken schließlich auf und verarbeitete ihn zu einem elementaren Trieb, den er den „Willen zur Macht“ nannte. Die beiden Philosophen stellen also Identität prinzipiell in Frage und Wahrheit wird bei Nietzsche letztlich nur zum stärksten Wahrheitsanspruch. Alles beruht auf einer Täuschung und die Illusion oder Theorie, die sich gegenüber den anderen durchsetzt, gilt als Wahrheit.

Um sich als „Wahrheit“ durchzusetzen muss eine Theorie oder eine „Identität“ jedoch zunächst erst einmal Wahrgenommen werden. So scheint besonders in unserer medienbestimmten Gesellschaft der Satz „Esse est percipi“ (« sein heißt Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmen ») des irischen Philosophen George Berkeley eine neue Bedeutung gewonnen zu haben. Nur Wahrnehmende oder Wahrgenommene Subjekte sind nach dieser Denkrichtung existent. Diese Idee wirkt auf uns für gewöhnlich sehr vertraut, scheint unsere Gesellschaft doch vom Sehen- und Gesehenwerden, sowie von einer Angst vor Isolation und Anonymität geprägt zu sein. Man benötigt die Anerkennung der Mitmenschen zur Selbstanerkennung und zur Identitätsfindung. Hegel formulierte etwas überspitzt, dass jedes Aufeinandertreffen zweier Individuen „ein Kampf auf Leben und tot“ sei. Er meinte, dass der Mensch immer versucht seinem Gegenüber überlegen zu sein. Andererseits wäre ein „Sieg“ ohne die Anerkennung des Besiegten nichts wert. Ohne Wahrgenommenwerden findet sich also auch hier keine Identität.

Auch die verschiedenen Obrigkeitsparteien in „Simulacra“, die „Ges“, streben danach Macht über ihre Mitmenschen und Konkurrenten zu erlangen und von ihnen gesehen, bzw. anerkannt zu werden. Der Grundpfeiler der Macht, oder des Mythos der First Lady „Nicole Thibodeaux“, die eigentlich eine Schauspielerin ist, scheint sich in ihren täglichen Fernsehauftritten finden zu lassen. Sie ist die Person, die am meisten Wahrgenommen wird und erscheint auch zunächst als die mächtigste Figur. Kongrosian hingegen wird von einer weiteren Neurose geplagt, die ihm das Gefühl gibt unsichtbar zu werden.

Führt man Berkeleys Aussage ins Extrem, so erhält man den Standpunkt, dass es außerhalb der menschlichen Wahrnehmung keine für sich unabhängige Wirklichkeit gibt, dass die Welt also nur als ein Phänomen des menschlichen Bewusstseins besteht und abhängig ist von ihrem Beobachter.
Eine ähnlich radikale, beinahe solipsistische Perspektive begegnet uns abermals in einer Szene mit der Figur Kongrosian. Im Büro der First Lady beginnt sich dessen Körper gegen Ende des Romans nämlich aufzulösen, bzw. Teile der Materie seines Körpers tauschen mit der Materie anderer Gegenstände, wie etwa einer Vase, ihren Platz. Die anderen Figuren, die diesem Schauspiel beiwohnen, können diesen Effekt allerdings wahrnehmen, so dass es sich entweder um einen Prozess der Psyche Kongrosians handelt, der auch in der gemeinschaftlichen Wirklichkeit der anderen Figuren substanziell wird, oder aber, dass sich die gesamte Welt des Romans, also auch das Bewusstsein der übrigen Figuren, nur in Kongrosians Kopf abspielt.
Nach dieser zweiten Deutung könnte man im Schluss des Romans eine „Umwertung der Werte“ finden. Die ursprünglich mächtigste Figur Nicole Thibodeaux entpuppt sich als Schauspielerin, die von einem geheimen Rat gelenkt wird, während, der anfangs schwache Kongrosian, der nicht einmal Herr über seine eigenen Sinne zu sein schien, gegen Ende von „Simulacra“ die Macht über das Universum des Romans bekommt, indem er andere Figuren durch sein Bewusstsein an andere Orte der Romanwelt versetzen kann, bzw. seine Mitfiguren sogar mittels seiner psychischen Kräfte töten kann.

Bibliographie:

Berkeley, George: Versuch über eine neue Theorie des Sehens. Hamburg: Meiner, 1987.
Dick, Philip K.: Simulacra. München: Heine, 2005.
Liessmann, Konrad Paul: Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben. Wien: WUV-Univ.-Verl., 1998.
Robinson, Kim Stanley: Die Romane des Philip K. Dick: Eine Monographie. Berlin: Shayol, 2005.
Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Gesamtausgabe. München, dtv.: 2002.

Donnerstag, 26. März 2009

Simulacra - Sind sie schon näher als wir denken?

Als Einstieg in unsere Thematik ein Artikel über einen Androiden, geschrieben von Florian Rötzer, gefunden auf heise.de

Der Roboter als menschlicher Doppelgänger
Florian Rötzer 26.04.2007

Ein japanischer Wissenschaftler hat einen ihm ähnlichen Androiden gebaut, den er aus der Ferne steuern kann
Asiaten lieben Roboter – oder sind zumindest fasziniert von ihnen. Je menschenähnlicher, desto besser. Die christlichen Bedenken, technisch oder biotechnisch in die Schöpfung einzugreifen, gibt es nicht. Nicht nur aus wissenschaftlichen, technischen oder ökonomischen Gründen werden künstliche Lebewesen und maschinelle Menschen geschaffen und perfektioniert, dahinter steckt auch Leidenschaft.


Einen Blick in die Motive, die hinter der Roboter-Leidenschaft stecken können, hat nun vielleicht Hiroshi Ishiguro von den ATR Intelligent Robotics and Communication Laboratories bei Kyoto offenbart. Er hat einen Roboter nach seinem Ebenbild geschaffen und damit wiederholt, was Gott angeblich bei der Schaffung des Menschen angetrieben hat, auch wenn Ishiguros Doppelgänger ihm erst einmal nur äußerlich einigermaßen gleicht.

japan-android1




Immerhin, der "Geminoid HI-1" gibt sogar vor zu atmen. Das ist natürlich nur ein Schauspiel, denn er hat es gar nicht nötig. Er verfügt nicht nur über 46 Freiheitsgrade, sondern auch über automatische "Mikrobewegungen" dank zahlreicher Motoren und Druckluft, so dass sich seine Füße oder seine Schultern bewegen, um lebensähnlich zu wirken. Allerdings kann der mit einer weichen Haut überzogene Doppelgänger bislang nur sitzen. Dafür spricht er mit der Stimme seines menschlich-biologischen Vorbilds und reproduziert seine Mimik mit 50 Motoren im Gesicht.

Der Doppelgänger ist aber noch ganz unter der Herrschaft seines Herrn. Er kann nämlich von diesem ferngesteuert werden. Damit könnte ihn der japanische Robotikwissenschaftler auch an seiner Stelle als Fernling ihn vertreten lassen. Geminoid ist wissenschaftlich-technisch eine Übung in verkörperter Telepräsenz. Mit einem Motion-Capture-System werden die Körperbewegungen und die Mimik, einschließlich der Lippenbewegungen, von Ishiguro erfasst und an den Androiden übermittelt, der sie reproduziert, soweit dies technisch möglich ist.

japan-android2




Angeblich wollte der Wissenschaftler damit vermeiden, persönlich, also mit seinem biologischen Körper, zur Universität zu fahren und dort Vorlesungen zu halten. Das macht nun der Fernling, wobei sich allerdings die Frage stellt, warum er ihm körperlich möglichst ähnlich aussehen soll und eine Videokonferenz nicht auch dem Zweck Genüge tun würde. Der Wissenschaftler will mit seinem Robot-Doppelgänger herausfinden, wie er sagt, ob die Menschen "seine Präsenz" durch die Verkörperung "fühlen" können und so eine wirkliche Interaktion aus der Ferne möglich ist.

Aber selbst wenn die Menschen in der Ferne auf den Doppelgänger hereinfallen und ihn als authentischen Stellvertreter empfinden sollten, würde der Fernlings-Halter doch um die Diskrepanz zwischen Hier und Dort wissen. Allerdings meint Ishiguro, er merke keinen Unterschied, wenn er durch seinen Doppelgänger mit anderen Menschen spreche. Zudem würde er ähnliche Empfindungen haben, wenn dieser berührt wird, als wenn er selbst berührt werde. "Zuerst ist man über den Androiden irritiert", versichert der Rootikwissenschaftler. "Aber wenn man in eine Konversation gezogen wird, vergisst man jeden Unterschied und fühlt sich ganz in Ordnung, wenn man mit ihm spricht und in seine Augen schaut."


Artikel- und Bilder-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25152/1.html
abgefragt am 26.03. 2009

Und hier noch ein Bericht über einen Gynoid (weiblicher Android) auf youtube:

http://www.youtube.com/watch?v=Ig7qmddOq4s

Mittwoch, 25. März 2009

Worum geht es in diesem Blog?

Dieser Blog beschäftigt sich im Rahmen des Kernfaches "Theorien und Methoden der Medienwissenschaft - Philip K. Dicks Medien" mit dem Thema Simulation. Wir, die Blogger, wollen uns basierend auf dem Roman "Simulacra" mit diesem Thema auseinandersetzen. Mal schauen, wohin uns diese Reise führt...

Wer ist eigentlich Philip K. Dick?

Philip_k_dick_drawing

Philip K. Dick wurde 1928 in Chicago geboren und schrieb schon in jungen Jahren zahllose Stories. Vormals Verkäufer in einem Plattenladen in Berkeley, wurde er 1952 hauptberuflich Schriftsteller. Er verfassten über hundert Erzählungen und Kurzgeschichten, sowie mehr als dreißig Romane, von denen etliche als Klassiker der amerikanischen Literatur gelten. So schrieb er unter anderem die Vorlagen zu den Filmen "Blade Runner", "Total Recall", "Minority Report" und "Paycheck". Philip K. Dick starb am 2. März 1982 in Santa Ana, Kalifornien, an den Folgen eines Schlaganfalls.

Hier noch ein paar Zitate über Philip K. Dick:

Philip K. Dick gehört zu den interessantesten, ungewöhnlichsten und intelligentesten amerikanischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
-Detlef Diederichsen

Ein Erzählen, das durch die Kraft seines Erfindungsreichtums literarisch wird
-Frankfurter Allgemeine Zeitung


Und eine BBC Dokumentation über PKD auf youtube:

http://www.youtube.com/watch?v=jJehaCfnXHE

Simulacra

Der Roman erschien 1964 unter dem Originaltitel "The Simulacra"; 2005 erschien im Heyne-Verlag eine überarbeitete Neuausgabe in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Simulacra".

Worum geht es?

Simulacra, künstliche Wesen in unterschiedlichster Form und Ausprägung dominieren das Leben in der nahen Zukunft: Roboter, Androiden, virtuelle Fernsehfiguren vermitteln den Menschen die Illusion einer wunderbaren Welt. Doch nicht nur das Alltagsleben, auch die Politik wird zunehmend von diesen künstlichen Wesen bestimmt: Oder wie anders ist es zu erklären, dass der amerikanische Präsident nur als virtuelles Aushängeschild für die Herrschaft eines geheimnisvollen "Rates" fungiert? Oder dass die First Lady schon seit siebzig Jahren dieselbe ist und trotzdem wie zwanzig aussieht? Und wer ist der mysteriöse Mann, der in der Zeit vor- und zurückzuspringen scheint und vor einem Anschlag auf die Regierung warnt?

Bin ich ein Mensch? Oder glaube ich nur, ein Mensch zu sein? Nichts hat Philip K. Dick so sehr fasziniert wie diese Frage. Und im Gegensatz zu anderen Autoren hat er wirklich ernsthaft nach einer Antwort gesucht
-Los Angeles Times

Simulation

die; -, -en: 1.Verstellung. 2. Vortäuschung [von Krankheiten]. 3. Nachahmung (in Bezug auf technische Vorgängen).

aus: Duden Fremdwörterbuch, 6. Auflage: Mannheim 1997.

Hier noch der Eintrag bei Wikipedia:

http://de.wikipedia.org/wiki/Simulation

Dieser erste Blog-Eintrag soll nun der Grundstein unseres Weges sein, den wir in diesem Semester beschreiten werden. Wir wünschen allen Lesern eine spannende Zeit und viel Spaß!
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Zuletzt aktualisiert: 2. Jul, 10:15

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