Grenzen der Wahrnehmung
Warum baut Hiroshi Ishiguro einen ihm selbst ähnlichen Androiden? Die Antwort auf diese Frage erscheint zunächst sehr einfach: Ishiguro ist ein Mensch und somit ein denkendes, von Neugier bestimmtes Wesen. Aber warum ist unser Dasein überhaupt von einem so starken Wissensdurst bestimmt? Und was kann man überhaupt wissen?
Der Mensch lebt in einer Welt, die bestimmt ist vom „Absolutismus der Wirklichkeit“ (Hans Blumenberg), einer Welt also in der er sich nicht auskennt. Aus dieser Unwissenheit resultieren Ängste, die das denkende Subjekt überwinden möchte indem es forscht und versucht sich Wissen anzueignen. Man möchte das Unerklärliche erklärbar machen und verstehen, wie das was ist zu dem geworden ist, was es ist.
So ist es nicht verwunderlich, dass man als Erdenbürger beispielsweise bei Naturkatastrophen die eigene Ohnmacht gegenüber der Wirklichkeit erkennen muss und deren Grund in einem stärkeren Wesen oder einer dem Menschen überlegenen Ursache sucht. Dabei stößt das denkende Subjekt aber gleich wieder an eine Grenze, da der Mensch nur sich selbst kennt und somit zum Maß der Dinge wird. Schon der vorsokratische Philosoph Xenophanes hatte die Idee, dass die griechischen Götter nicht die Menschen, sondern die Menschen die Götter schufen, dies versuchte er satirisch zu belegen, indem er behauptete, dass die Götter der Löwen, wenn diese Hände hätten und malen könnten, wie Löwen aussähen.
Wir glauben also, dass wir eine Handlung verstehen können, wenn wir sie erzählen können, bzw. dass wir den Menschen verstehen können, indem wir ihn – wie Hiroshi Ishiguro - nachbilden.
Im zukünftigen Universum von Philip K. Dick’s „Simulacra“ nehmen die Ersatzwesen zumeist ebenfalls eine sehr hohe Stufe in der Gesellschaft ein und dienen der arbeitenden Bevölkerung, den „Bes“, als Vorbilder oder Idealtypen, denen sie teilweise sogar in einer Art Liebe verfallen sind.
Sowohl die antiken Götter, als auch aktuelle Androiden, sowie die Simulacren aus Dick’s Welt ähneln also in Gestalt und Eigenschaften dem menschlichen Wesen.
Der Mensch ist auf die menschliche Dimension und deren begrenzte Sinneswahrnehmung beschränkt. Genau wie Katzen beispielsweise nur schwarz-weiß sehen können und ihre Sinneswahrnehmung in dieser Hinsicht der anderer Lebewesen unterliegt, ist auch die menschliche Wahrnehmung gegenüber der Wirklichkeit begrenzt. Was einem die Sinnesorgane erlauben wahrzunehmen, das hält man für die einzige Wahrheit, weil man eben, genau wie in Platons Höhlengleichnis, „nur in eine Richtung blicken“, bzw. nur durch die eigene menschliche Perspektive wahrnehmen kann.
Findet nun aber beispielsweise durch eine psychische Krankheit eine „Trübung“ der Wahrnehmung statt, kann sich der gesamte sensualistische Horizont eines Menschen und als Folge daraus auch seine Handlungen verändern. Die fiktive Figur Richard Kongrosian aus Philip K. Dick’s Roman erkrankt beispielsweise an einer Neurose, wodurch sie glaubt durch ihren schlimmen Körpergeruch ihre Mitmenschen abzuschrecken. Folglich ist sie stetig bestrebt diesen aus dem Weg zu gehen. Oft können Menschen, die an einer solchen Erkrankung leiden, gar nicht erkennen, dass sie einer „Selbsttäuschung ihres Gehirns“ unterliegen. Kongrosian hingegen nimmt diese psychische Störung durchaus wahr, ist ihr jedoch trotzdem ausgeliefert.
Die Mehrheit der Menschen glaubt jedoch psychisch gesund zu sein und in einander ähnlicher Weise wahrzunehmen. Man glaubt also zu wissen, dass - und in welcher Form - die eigenen Sinnesorgane täuschungsanfällig sind, und versucht aus dem Vergleich mit den Mitmenschen eine Art Normalfall herzuleiten. Trotzdem ist damit noch nicht bewiesen ob das, was wir wahrnehmen auch wirklich der Realität entspricht. Was, das ich an der Wirklichkeit wahrnehme, ist also nun wirklich wahr?
Der Philosoph Descartes gibt auf diese Frage eine sehr ernüchternde Antwort. Seiner Ansicht nach kann man nichts mit Bestimmtheit wissen, alles ist anzweifelbar. Einen kleinen Ausweg findet er jedoch, indem er feststellt, dass, wenn alles eine Täuschung ist, etwas existieren muss, das getäuscht werden kann. Sein „cogito ergo sum“ beinhaltet also einen Existenzbeweis. Das Denken, dass man getäuscht werden kann, ist für Descartes eine gesicherte Erkenntnis und ein Beweis dafür, dass man existiert.
Ansonsten ist unserer Wahrnehmung leider trotzdem sehr täuschungsanfällig. Einerseits können wir uns selbst bewusst oder unbewusst täuschen was sich sehr leicht z.B. anhand von Träumen beweisen lässt, da diese als real erlebt werden, bzw. reale Gefühle hervorrufen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht als Realität angesehen werden. Auf der anderen Seite versucht der Mensch auch seit jeher sich das Wissen um die Täuschungsanfälligkeit der Sinne zu Nutze zu machen um dadurch Macht über andere Menschen zu erlangen.
Arthur Schopenhauer legte in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ das Sein als ein Resultat der menschlichen Vorstellung fest, dass jedoch mit dem Willen einem voluntaristischen Prinzip unterworfen ist. Nietzsche griff diesen Gedanken schließlich auf und verarbeitete ihn zu einem elementaren Trieb, den er den „Willen zur Macht“ nannte. Die beiden Philosophen stellen also Identität prinzipiell in Frage und Wahrheit wird bei Nietzsche letztlich nur zum stärksten Wahrheitsanspruch. Alles beruht auf einer Täuschung und die Illusion oder Theorie, die sich gegenüber den anderen durchsetzt, gilt als Wahrheit.
Um sich als „Wahrheit“ durchzusetzen muss eine Theorie oder eine „Identität“ jedoch zunächst erst einmal Wahrgenommen werden. So scheint besonders in unserer medienbestimmten Gesellschaft der Satz „Esse est percipi“ (« sein heißt Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmen ») des irischen Philosophen George Berkeley eine neue Bedeutung gewonnen zu haben. Nur Wahrnehmende oder Wahrgenommene Subjekte sind nach dieser Denkrichtung existent. Diese Idee wirkt auf uns für gewöhnlich sehr vertraut, scheint unsere Gesellschaft doch vom Sehen- und Gesehenwerden, sowie von einer Angst vor Isolation und Anonymität geprägt zu sein. Man benötigt die Anerkennung der Mitmenschen zur Selbstanerkennung und zur Identitätsfindung. Hegel formulierte etwas überspitzt, dass jedes Aufeinandertreffen zweier Individuen „ein Kampf auf Leben und tot“ sei. Er meinte, dass der Mensch immer versucht seinem Gegenüber überlegen zu sein. Andererseits wäre ein „Sieg“ ohne die Anerkennung des Besiegten nichts wert. Ohne Wahrgenommenwerden findet sich also auch hier keine Identität.
Auch die verschiedenen Obrigkeitsparteien in „Simulacra“, die „Ges“, streben danach Macht über ihre Mitmenschen und Konkurrenten zu erlangen und von ihnen gesehen, bzw. anerkannt zu werden. Der Grundpfeiler der Macht, oder des Mythos der First Lady „Nicole Thibodeaux“, die eigentlich eine Schauspielerin ist, scheint sich in ihren täglichen Fernsehauftritten finden zu lassen. Sie ist die Person, die am meisten Wahrgenommen wird und erscheint auch zunächst als die mächtigste Figur. Kongrosian hingegen wird von einer weiteren Neurose geplagt, die ihm das Gefühl gibt unsichtbar zu werden.
Führt man Berkeleys Aussage ins Extrem, so erhält man den Standpunkt, dass es außerhalb der menschlichen Wahrnehmung keine für sich unabhängige Wirklichkeit gibt, dass die Welt also nur als ein Phänomen des menschlichen Bewusstseins besteht und abhängig ist von ihrem Beobachter.
Eine ähnlich radikale, beinahe solipsistische Perspektive begegnet uns abermals in einer Szene mit der Figur Kongrosian. Im Büro der First Lady beginnt sich dessen Körper gegen Ende des Romans nämlich aufzulösen, bzw. Teile der Materie seines Körpers tauschen mit der Materie anderer Gegenstände, wie etwa einer Vase, ihren Platz. Die anderen Figuren, die diesem Schauspiel beiwohnen, können diesen Effekt allerdings wahrnehmen, so dass es sich entweder um einen Prozess der Psyche Kongrosians handelt, der auch in der gemeinschaftlichen Wirklichkeit der anderen Figuren substanziell wird, oder aber, dass sich die gesamte Welt des Romans, also auch das Bewusstsein der übrigen Figuren, nur in Kongrosians Kopf abspielt.
Nach dieser zweiten Deutung könnte man im Schluss des Romans eine „Umwertung der Werte“ finden. Die ursprünglich mächtigste Figur Nicole Thibodeaux entpuppt sich als Schauspielerin, die von einem geheimen Rat gelenkt wird, während, der anfangs schwache Kongrosian, der nicht einmal Herr über seine eigenen Sinne zu sein schien, gegen Ende von „Simulacra“ die Macht über das Universum des Romans bekommt, indem er andere Figuren durch sein Bewusstsein an andere Orte der Romanwelt versetzen kann, bzw. seine Mitfiguren sogar mittels seiner psychischen Kräfte töten kann.
Bibliographie:
Berkeley, George: Versuch über eine neue Theorie des Sehens. Hamburg: Meiner, 1987.
Dick, Philip K.: Simulacra. München: Heine, 2005.
Liessmann, Konrad Paul: Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben. Wien: WUV-Univ.-Verl., 1998.
Robinson, Kim Stanley: Die Romane des Philip K. Dick: Eine Monographie. Berlin: Shayol, 2005.
Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Gesamtausgabe. München, dtv.: 2002.
Der Mensch lebt in einer Welt, die bestimmt ist vom „Absolutismus der Wirklichkeit“ (Hans Blumenberg), einer Welt also in der er sich nicht auskennt. Aus dieser Unwissenheit resultieren Ängste, die das denkende Subjekt überwinden möchte indem es forscht und versucht sich Wissen anzueignen. Man möchte das Unerklärliche erklärbar machen und verstehen, wie das was ist zu dem geworden ist, was es ist.
So ist es nicht verwunderlich, dass man als Erdenbürger beispielsweise bei Naturkatastrophen die eigene Ohnmacht gegenüber der Wirklichkeit erkennen muss und deren Grund in einem stärkeren Wesen oder einer dem Menschen überlegenen Ursache sucht. Dabei stößt das denkende Subjekt aber gleich wieder an eine Grenze, da der Mensch nur sich selbst kennt und somit zum Maß der Dinge wird. Schon der vorsokratische Philosoph Xenophanes hatte die Idee, dass die griechischen Götter nicht die Menschen, sondern die Menschen die Götter schufen, dies versuchte er satirisch zu belegen, indem er behauptete, dass die Götter der Löwen, wenn diese Hände hätten und malen könnten, wie Löwen aussähen.
Wir glauben also, dass wir eine Handlung verstehen können, wenn wir sie erzählen können, bzw. dass wir den Menschen verstehen können, indem wir ihn – wie Hiroshi Ishiguro - nachbilden.
Im zukünftigen Universum von Philip K. Dick’s „Simulacra“ nehmen die Ersatzwesen zumeist ebenfalls eine sehr hohe Stufe in der Gesellschaft ein und dienen der arbeitenden Bevölkerung, den „Bes“, als Vorbilder oder Idealtypen, denen sie teilweise sogar in einer Art Liebe verfallen sind.
Sowohl die antiken Götter, als auch aktuelle Androiden, sowie die Simulacren aus Dick’s Welt ähneln also in Gestalt und Eigenschaften dem menschlichen Wesen.
Der Mensch ist auf die menschliche Dimension und deren begrenzte Sinneswahrnehmung beschränkt. Genau wie Katzen beispielsweise nur schwarz-weiß sehen können und ihre Sinneswahrnehmung in dieser Hinsicht der anderer Lebewesen unterliegt, ist auch die menschliche Wahrnehmung gegenüber der Wirklichkeit begrenzt. Was einem die Sinnesorgane erlauben wahrzunehmen, das hält man für die einzige Wahrheit, weil man eben, genau wie in Platons Höhlengleichnis, „nur in eine Richtung blicken“, bzw. nur durch die eigene menschliche Perspektive wahrnehmen kann.
Findet nun aber beispielsweise durch eine psychische Krankheit eine „Trübung“ der Wahrnehmung statt, kann sich der gesamte sensualistische Horizont eines Menschen und als Folge daraus auch seine Handlungen verändern. Die fiktive Figur Richard Kongrosian aus Philip K. Dick’s Roman erkrankt beispielsweise an einer Neurose, wodurch sie glaubt durch ihren schlimmen Körpergeruch ihre Mitmenschen abzuschrecken. Folglich ist sie stetig bestrebt diesen aus dem Weg zu gehen. Oft können Menschen, die an einer solchen Erkrankung leiden, gar nicht erkennen, dass sie einer „Selbsttäuschung ihres Gehirns“ unterliegen. Kongrosian hingegen nimmt diese psychische Störung durchaus wahr, ist ihr jedoch trotzdem ausgeliefert.
Die Mehrheit der Menschen glaubt jedoch psychisch gesund zu sein und in einander ähnlicher Weise wahrzunehmen. Man glaubt also zu wissen, dass - und in welcher Form - die eigenen Sinnesorgane täuschungsanfällig sind, und versucht aus dem Vergleich mit den Mitmenschen eine Art Normalfall herzuleiten. Trotzdem ist damit noch nicht bewiesen ob das, was wir wahrnehmen auch wirklich der Realität entspricht. Was, das ich an der Wirklichkeit wahrnehme, ist also nun wirklich wahr?
Der Philosoph Descartes gibt auf diese Frage eine sehr ernüchternde Antwort. Seiner Ansicht nach kann man nichts mit Bestimmtheit wissen, alles ist anzweifelbar. Einen kleinen Ausweg findet er jedoch, indem er feststellt, dass, wenn alles eine Täuschung ist, etwas existieren muss, das getäuscht werden kann. Sein „cogito ergo sum“ beinhaltet also einen Existenzbeweis. Das Denken, dass man getäuscht werden kann, ist für Descartes eine gesicherte Erkenntnis und ein Beweis dafür, dass man existiert.
Ansonsten ist unserer Wahrnehmung leider trotzdem sehr täuschungsanfällig. Einerseits können wir uns selbst bewusst oder unbewusst täuschen was sich sehr leicht z.B. anhand von Träumen beweisen lässt, da diese als real erlebt werden, bzw. reale Gefühle hervorrufen, obwohl sie in Wirklichkeit nicht als Realität angesehen werden. Auf der anderen Seite versucht der Mensch auch seit jeher sich das Wissen um die Täuschungsanfälligkeit der Sinne zu Nutze zu machen um dadurch Macht über andere Menschen zu erlangen.
Arthur Schopenhauer legte in seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ das Sein als ein Resultat der menschlichen Vorstellung fest, dass jedoch mit dem Willen einem voluntaristischen Prinzip unterworfen ist. Nietzsche griff diesen Gedanken schließlich auf und verarbeitete ihn zu einem elementaren Trieb, den er den „Willen zur Macht“ nannte. Die beiden Philosophen stellen also Identität prinzipiell in Frage und Wahrheit wird bei Nietzsche letztlich nur zum stärksten Wahrheitsanspruch. Alles beruht auf einer Täuschung und die Illusion oder Theorie, die sich gegenüber den anderen durchsetzt, gilt als Wahrheit.
Um sich als „Wahrheit“ durchzusetzen muss eine Theorie oder eine „Identität“ jedoch zunächst erst einmal Wahrgenommen werden. So scheint besonders in unserer medienbestimmten Gesellschaft der Satz „Esse est percipi“ (« sein heißt Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmen ») des irischen Philosophen George Berkeley eine neue Bedeutung gewonnen zu haben. Nur Wahrnehmende oder Wahrgenommene Subjekte sind nach dieser Denkrichtung existent. Diese Idee wirkt auf uns für gewöhnlich sehr vertraut, scheint unsere Gesellschaft doch vom Sehen- und Gesehenwerden, sowie von einer Angst vor Isolation und Anonymität geprägt zu sein. Man benötigt die Anerkennung der Mitmenschen zur Selbstanerkennung und zur Identitätsfindung. Hegel formulierte etwas überspitzt, dass jedes Aufeinandertreffen zweier Individuen „ein Kampf auf Leben und tot“ sei. Er meinte, dass der Mensch immer versucht seinem Gegenüber überlegen zu sein. Andererseits wäre ein „Sieg“ ohne die Anerkennung des Besiegten nichts wert. Ohne Wahrgenommenwerden findet sich also auch hier keine Identität.
Auch die verschiedenen Obrigkeitsparteien in „Simulacra“, die „Ges“, streben danach Macht über ihre Mitmenschen und Konkurrenten zu erlangen und von ihnen gesehen, bzw. anerkannt zu werden. Der Grundpfeiler der Macht, oder des Mythos der First Lady „Nicole Thibodeaux“, die eigentlich eine Schauspielerin ist, scheint sich in ihren täglichen Fernsehauftritten finden zu lassen. Sie ist die Person, die am meisten Wahrgenommen wird und erscheint auch zunächst als die mächtigste Figur. Kongrosian hingegen wird von einer weiteren Neurose geplagt, die ihm das Gefühl gibt unsichtbar zu werden.
Führt man Berkeleys Aussage ins Extrem, so erhält man den Standpunkt, dass es außerhalb der menschlichen Wahrnehmung keine für sich unabhängige Wirklichkeit gibt, dass die Welt also nur als ein Phänomen des menschlichen Bewusstseins besteht und abhängig ist von ihrem Beobachter.
Eine ähnlich radikale, beinahe solipsistische Perspektive begegnet uns abermals in einer Szene mit der Figur Kongrosian. Im Büro der First Lady beginnt sich dessen Körper gegen Ende des Romans nämlich aufzulösen, bzw. Teile der Materie seines Körpers tauschen mit der Materie anderer Gegenstände, wie etwa einer Vase, ihren Platz. Die anderen Figuren, die diesem Schauspiel beiwohnen, können diesen Effekt allerdings wahrnehmen, so dass es sich entweder um einen Prozess der Psyche Kongrosians handelt, der auch in der gemeinschaftlichen Wirklichkeit der anderen Figuren substanziell wird, oder aber, dass sich die gesamte Welt des Romans, also auch das Bewusstsein der übrigen Figuren, nur in Kongrosians Kopf abspielt.
Nach dieser zweiten Deutung könnte man im Schluss des Romans eine „Umwertung der Werte“ finden. Die ursprünglich mächtigste Figur Nicole Thibodeaux entpuppt sich als Schauspielerin, die von einem geheimen Rat gelenkt wird, während, der anfangs schwache Kongrosian, der nicht einmal Herr über seine eigenen Sinne zu sein schien, gegen Ende von „Simulacra“ die Macht über das Universum des Romans bekommt, indem er andere Figuren durch sein Bewusstsein an andere Orte der Romanwelt versetzen kann, bzw. seine Mitfiguren sogar mittels seiner psychischen Kräfte töten kann.
Bibliographie:
Berkeley, George: Versuch über eine neue Theorie des Sehens. Hamburg: Meiner, 1987.
Dick, Philip K.: Simulacra. München: Heine, 2005.
Liessmann, Konrad Paul: Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben. Wien: WUV-Univ.-Verl., 1998.
Robinson, Kim Stanley: Die Romane des Philip K. Dick: Eine Monographie. Berlin: Shayol, 2005.
Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung. Gesamtausgabe. München, dtv.: 2002.
Kojaanisqatsi - 7. Apr, 09:05