Freitag, 12. Juni 2009

Das Bild als Simulakrum

"Nicole Thibodeaux verwendet dieses Medium ganz klar, um die Menschen an sich zu binden. Sie schafft durch den Apparat eine eigene Realität von ihr, ein bestimmtes Bild, welches sie in den Augen der Bürger zum "Über-Menschen", zum geistigen Führer einer Nation macht, zur letzten Instanz für die Entscheidung über richtig und falsch.”

Aber wie kommt es, dass die BE´s ihr Bild euphorisch annehmen? Warum kommt niemand auf den Gedanken die Allmacht dieser ewig jungendlichen Abbildes zu hinterfragen? Liegt es nur an dem biblischen Mythos der mit Nicoles Erscheinung verknüpft ist? Wie kommt es außerdem, dass ein Bild, nur aus dem Grund DAS es ein Bild ist soviel Macht auf die Menschen ausübt.

Es ist doch ein Zeichen unserer Zeit, dass Bilder immer mehr an die Stelle der realen Körper rücken und zu Objekten der Begierde und der Selbstdefinition werden. Allein schon die Tatsache, dass sich die menschliche Sicht auf die 2-dimensionalen Bilder des Kinos seit dessen Erfindung so rasant angepasst hat, dass in deren 2-Dimensionalität 3-Dimensionale (reale) Räume wahrgenommen werden, sagt schon einiges über die Manipulierbarkeit des menschlichen Blickes aus.

Laut Jean Baudrillard verschwindet der Körper aus der imaginären Welt der Menschen und wird durch Bilder als Objekte der Begierde ersetzt.

Dies kann man auch in Philip K. Dicks The Simulacra sehen, worin das Bild der Präsidentin zum Fetisch und Götzenbild einer ganzen Nation erhoben wird. Das Bild, womit das Medienbild und seit einiger Zeit auch das digitalisierte Bild gemeint ist, geht also „als Simulakrum dem Realen voraus“ (BAUDRILLARD 1986: S.265). In The Simulacra wird besonders schön deutlich wie die Kausalität zwischen Bild und Wirklichkeit umgedreht wird. Das Bild Nicoles ist immer präsent, doch die Wirklichkeit ändert sich mit dem jeweiligen Alter der repräsentierenden Schauspielerin. Im Gegensatz zu den anderen Frauenfiguren in Dicks Roman The Simulacra kann nur Nicole geliebt werden, da sie sowohl (medialen) Zugang zu den Privaträumen der Be´s hat als auch als Idealbild, als unereichbare „mother, wife, mistress“ ( DICK 1977: S.20) stilisiert wird.

Es ist schon interessant wie sehr in Philip K. Dicks Geschichten und deren Adaptionen der Wert auf das Auge gelegt wird.
Der visuelle Sinn des Menschen als Sinn der Zukunft? Die Augen als Spielgel der Seele/ der Menschlichkeit? Was sagt uns die orthografische Ähnlichkeit der englischen Wörter „eye“ und „I“?
Das Auge als Selbstdefinition: nicht ohne Grund erkennt der Leser die Replikanten, Cyborgs oder Simulacra oft an den seelenlosen Augen.

AugeAuch in Blade Runner (Ridley Scott, USA 1982), der Dick Adaption von Do Androids dream of Electric Sheep wird das, was gesehen und das womit es gesehen wird zu einem auschlaggebenden Motiv. Sowohl die Augen als auch Fotografie dienen als Identifikation und Selbsdefinition, wobei die Fotografie für die Baudrillardsche Simulationstheorie eine weitaus bedeutendere Rolle einnimmt.

Das analoge Bild spielt hier die Rolle eines Beweises und zwar in zweifacher Hinsicht.

Der Beweis als Selbstdefinition: Sowohl Rachael als auch Deckard versuchen sich anhand von analogen Fotos zu versichern, dass sie eine Kindheit und menschliche Vorfahren hatten. Die Erinnerung allein ist nicht zuverlässig genug, da sie technisch „eingepflanzt“ und manipuliert werden kann. Die analogen Familienbilder sollen das bestätigen, was der Kopf nicht glauben kann und konstruieren somit eine Wunschrealität.

Im zweiten Beweisfall spielt die Digitalisierung eines Fotos die Schlüsselrolle. Bild-9
Deckard untersucht mit einem Digitalisierungscomputer eine analoge Fotografie auf Hinweise auf andere Replikanten. In der an niederländische Malerei anmutende Fotografie findet er tatsächlich nach einigem Suchen die Reflexion einer Frau in einem weit entfernten Spiegel. Er zoomt näher heran und kann ein Identifikationsfoto der Replikantin Zhora bekommen.

Das dieses Verfahren kaum zu einem „lesbaren“ Bild führen kann hat uns schon der Film Blow Up von Antonioni gelehrt in dem nur noch Pixelgebirge erkennbar waren und die Realität hinter dem Bild unleserlich blieb. In Blade Runner aber erschließt die Digitalisierung des Fotos neue Perspektiven, eine künstliche Zeichenwelt wird hinter dem flächigen Bild erfahrbar und stellt das Foto als Beweismittel der vorhandenen Realität vollends in Frage.

Ist unsere Zeit, die ja so von der Identifikation mit digital (veränderten) Bildern, also von Simulakren lebt nicht schon im Begriff sich in einer selbstgeschaffene Simulation einzusperren. In eine simulierte Welt, die nur mehr über amonyme Internetplattformen, à la twitter, Facebook, etc. kommuniziert und allein über den Sinn des Sehens und Wahrnehmens existiert? Rückgängig kann man den Siegeszug des Sehens nicht mehr machen, aber man kann mit anderen Augen hinter die Dinge zu blicken um sich den Realitätsbezug, falls es einen gibt, zu bewahren.

Eine Andeutung dieser Thematik findet sich in den Worten, die der Replikant Roy Batty zu dem genetic designer seiner Augen sagt:

„Well, if only you could see what I´ve seen with your eyes.“
(BUKATMAN 1997: S.7)


Quellen:

Baudrillard, Jean, „Jenseits von Wahr und Falsch, oder Die Hinterlist des Bildes.“ in: Bildwelten – Denkbilder. Hg. Bachmayer, Hand M./Otto Van de Loo/Florian Rötzer. München: Boer 1986.

Bukatman, Scott, Blade Runner. London: bfi modern classics 1997.
Scott, Ridley, Blade Runner. USA 1982 (Director´s Cut 1992)

http://www.geocities.com/Area51/Hollow/2405/blade.html#7

Dick, Philip K., The Simulacra. Magnum 1977 (Orig. 1964)

Baudrillard, Jean, Simulation und Verführung. München : Fink 1994
logo

Die simulierte Welt des Philip K. Dick

Suche

 

Status

Online seit 5526 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2. Jul, 10:15

Credits


Profil
Abmelden
Weblog abonnieren